Das Feindliche aus dem eigenen Lager

Warum sich die Konfliktpartner oft so nahe sind. Von Christa Schyboll

Manche Menschen haben ein paar Feinde. Andere gleich viele. Noch andere scheinbar gar keine. Wie glücklich, diese Gruppe! Aber die, die keine haben, kennen in aller Regel dennoch eine Reihe Konflikte im Leben, wo sich das "Feindliche" im Leben zeigt. Selbst dann, wenn der Konfliktpartner nicht als "Feind" betrachtet oder gar gleich gehasst wird, sondern lediglich als Störung oder vorübergehende Belastung innerlich "verbucht" wird.

Sprechen wir also weniger vom Feindlichen, sondern vom Konflikt. Konflikt bedeutet, dass etwas miteinander unvereinbar ist. Personen, Interessen, Wertvorstellungen. Nicht nur die Ansichten gehen weit auseinander, sondern auch die begleitenden Gefühle von Wut, Hass, Ärger, Schmerz oder Aggression. Einer bezichtigt den anderen der Tyrannei und man leidet in manchen Fällen entsetzlich an- oder untereinander. Dieses Leiden ist besonders groß, je näher einem der Konfliktpartner steht. Aber weil er so nah ist, verschärft sich manchmal der Schmerz zur Qual, wenn er unauflösbar ist oder scheint. Natürlich gibt es auch über übergeordnete Konflikte, die zu Kriegen zwischen Völkern oder Staaten werden können. In solchen Fällen werden dann Abertausende mit hineingezogen, die es selbst nie freiwillig wollten. Soldaten zum Beispiel, weil die Diplomatie in der Politik einmal wieder versagte.

Die meisten Menschen jedoch leiden lebenslang unter jenen Konflikten oder Feindschaften, die aus ihrem nächsten Umfeld von Freundschaft, Familie oder Beruf entstehen. Würde ein jeder Mensch am Ende seines Lebens seine Konfliktpartner über all die vielen Jahrzehnte erinnern, so mag manch einen ein schwermütiges Erstaunen erfassen, angesichts von Anzahl und Verschiedenheit von Konflikten, die im Leben zu meistern waren und längst vergessen sind. Nicht alle hat man davon vermutlich friedlich lösen können. Ob man selbst jedoch in der Anzahl und Qualität der eigenen Konflikte auch den berühmten roten Faden erkennt, ist fraglich, wenngleich wünschenswert und schwer zugleich, weil doch jeder einzelne Konflikt so unvergleichlich anders war.

Der Schmerz, der besonders stark ausgerechnet durch die Nähe und Verbundenheit zum Konfliktpartner entsteht, ist deshalb oft so groß, weil er das bewusste oder unbewusste Gefühl des Getrenntseins von etwas, dem man angehören möchte, so unmissverständlich klar aufzeigt: Es geht nicht! Man fühlt Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit. Es fehlt Sprache und Zugang. Das einzig sichere ist das Missverständnis oder die Entzweiung. Konflikte mit Menschen, zu denen wir keinen emotionalen Bezug haben, mögen lästig und Kräfte und Zeit raubend sein, aber sind in der Regel weniger nachhaltig und zerstörerisch im Schmerz als eben jene, mit denen man im tiefsten Kern doch im Frieden leben möchte und es dennoch nicht schafft.

Dabei ist dies durchaus keineswegs immer eine Frage der Toleranz, sondern eine des eigenen Selbstverständnisses und der gefühlten oder ersehnten Seelennähe. Toleranz kann man gut aufbringen, wo es nicht ans Eingemachte der intimsten Gefühle geht, halt mit den „Fremden“. Zeigen sich aber im Konflikt mit den "Nahestehenden" die individuellen Wahrnehmungsunterschiede auf, die auf unterschiedlichen charakterlichen oder moralischen Haltungen beruhen, ist neben dem äußeren Anlass, der meist nur als Metapher steht, Trennung und Verlust ein Grundthema, über das die Betroffenen oft nicht einmal nachdenken, weil es so fern von der "Sache" her scheint. In diesen individuellen Wahrnehmungsunterschieden entstehen oftmals die Motive für einen Konflikt. Hier ist die Ursuppe, aus der später der "Krieg" wird und mit Zerstörung droht. Bekommt man keinen inneren Konsens über Gerechtigkeit, Fairness, Redlichkeit oder Ehrenhaftigkeit, droht die innere und äußere Eskalation. Der Verstand kann dabei durchaus rein rational die Karte der Toleranz oder Liberalität ziehen. Aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist das oftmals verwundete Herz, das auf anderen, als allein nur rein rationalen Argumenten sein Eigenleben führt.

Jedes dieser verwundeten Herzen hat trotzdem zu lernen. Auf welcher Seite man immer auch steht. Vor allem aber hat es zu begreifen, dass Konfliktlösungen keineswegs immer mit Recht oder Gerechtigkeit einher gehen können oder müssen, sondern mit einer inneren Haltungsänderung, die völlig unabhängig vom Konfliktpartner von jedem selbst erarbeitet werden muss.

Hat man das begriffen, ist der Konflikt zwar noch nicht immer gleich gelöst, aber man ist ihm einen entscheidenden friedlichen Schritt entgegen gegangen. Eine Art innere Weihnacht und Neugeburt kann beginnen.

— 24. November 2013
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