Die Toten mehren sich

Überlegungen zu Krieg und Frieden von Christa Schyboll

Tote auf beiden Seiten. Kinder, erwachsene Zivilisten. Raketenbeschuss. Angst, Trauma. Es brennt schon lange in Israel und Gaza. Der Konflikt scheint gefühlt älter als die Masse der Toten sich häuft. Oder eher umgekehrt?

Eine Frage des Einfühlens, eine Frage des Fokus. Tatsache ist, dass die Seiten noch immer so verhärtet sind, dass ein echtes aufeinander zu bewegen noch immer nicht in Sicht ist nach all den Jahrzehnten des Konflikts.

Nun wird – wieder einmal – eine neue Eskalationsstufe erreicht, von der niemand weiß, wie sie enden wird. Dass sie blutig ist und erbarmungslos, ist das einzige was dabei sicher ist. Wie – so frage ich mich als die, die hier im Frieden lebt – müssen sich all diese Menschen auf beiden Seiten fühlen – ganz unabhängig vom politischen Lagerdenken? Wie empfindet man, wenn man permanent mit dem ganz persönlichen Tod bedroht ist? Ständig Bombenalarm hört, ständig Schutzbunker aufsuchen muss und niemals weiß, wann es einen selbst oder die nächsten lieben Menschen trifft.

Geht das ohne Trauma ab? Geht das ohne Veränderung der eigenen Persönlichkeitsentwicklung? Und wenn nein, wie verändert sich eine Persönlichkeit, die über Jahrzehnte im Krieg lebt, dessen Phase nur von kurzen Waffenstillstandszeiten unterbrochen wird? Und wie ergeht es dabei ganzen Völkerschichten im Kollektiv? Ist Krieg eine Gewohnheitsfrage? Kann man sich gewöhnen? Muss man sich gewöhnen? Oder ist es für uns, die wir den Krieg eben nicht gewohnt sind, eine bloß theoretische Frage, deren Inhalt man mit seinem eigenen Seelenleben nicht füllen kann?

Dem Bundestag steht nun wieder die Entscheidung zum Konflikt zwischen Syrien und der Türkei und dem Einsatz unserer Waffensysteme zur Entscheidung. Die Linken haben sich klar positioniert. Die anderen scheinen diese Unterstützung derzeit zu favorisieren. Und immer gibt es für alle Positionen ja durchaus ein Für und Wider. Die Frage des Bündnisses, der Verpflichtungen, die Frage des Krieges und der Verneinung zur weiteren Beteiligung. Jede Seite hat durchaus nachvollziehbare Argumente, die man nicht billig vom Tisch wischen kann, wenn man es ernst meint.

Aber wird durch Bündnisverpflichtungen jemals ein Ausstieg aus der Spirale erreicht werden? Ich denke: Nein. So nachvollziehbar all die Argumente sein mögen, bleibt es weiter beim immergleichen Spiel, das seit Jahrtausenden kein Ende findet, weil einfach nicht einer sagt: Schluss! Doch, es gibt ja ein paar neutrale Staaten. Obschon man die Neutralität dabei begrifflich auch genau hinterfragen muss. Aber es sind Anfänge. Eine ohnmächtige UNO, die letztlich keine Weltgemeinschaft in Sachen Friedenspolitik ist, wie die vielen heißen Kriege ständig beweisen, nützt uns wenig. Aber ein NEIN von immer mehr Staaten zur Kriegspolitik ist überfällig. Doch was wird dann aus all unseren Arbeitsplätzen in der Rüstungsindustrie? Unlösbar? Nein!... Mit Übergängen und Neuorientierungen ist auch das machbar, auch wenn es ein wenig Zeit kostet.

— 20. November 2012
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