Bewegung

Bewusstes Gehen als Kraftpunkt des Alltags. Von Christa Schyboll

Wir rennen durchs Leben. So jedenfalls hört man es allerorten, wenn Menschen etwas über den täglichen Stress aussagen. Alles muss immer schneller in immer kürzerer Zeit geschehen.

Kein Wunder also, dass wir häufig auch unseren Gang dem allgemeinen Geschwindigkeitsrausch angepasst haben. Phlegmatische Menschen mögen zwar ein wenig seltener davon betroffen sein als die temperamentvollen Choleriker – aber die Alltagshast fordert viel von uns, was sich bis in unsere Bewegungsabläufe optisch wie auch gesundheitlich bemerkbar macht.

Seit Jahrtausenden kennt der Osten eine Sitz- wie auch eine Gehmeditation. Jeder Schritt wird bewusst getan. Er wird langsam und sorgfältig vollzogen. Der Fuß weiß, worauf er tritt und wann er mit dem Ballen richtig abrollt. Dass weiß unser unmeditativer westlicher Fuß zwar auch, weil wir sonst wesentlich mehr Unfälle zu verzeichnen hätten, aber der qualitative Unterschied ist dennoch unvergleichbar.

Gehen kann zum Erlebnis werden, wenn wir uns dabei entstressen. Und sei es nur für einige Minuten des Tages. All diese Hetze und Ruhelosigkeit als Dauergejagter, dem sein Restleben offenbar auf den Fersen ist, wird an manchen Tagen zum schieren Kesseltreiben. Deshalb lohnt es sich gerade für Anfänger, in die Gehmeditation einzusteigen, die weniger anstrengend ist als die Sitzmeditation. Sie kann sich für Ungeübte im Rücken unangenehm bemerkbar machen, was manchen dann auch allzu schnell wieder davon abbringt.

Die Wirkung der Gehmeditation wird rasch als sehr angenehm erfahren, wenn man sich ernsthaft einlässt. Sie brauchen keine besondere Örtlichkeit und können es jederzeit auch zu Hause üben, wenn Sie für die freie Natur gerade keine Zeit haben oder aber sich von anderen Menschen auch lieber dabei nicht beobachten lassen möchte.

Wer eine kleine Anleitung möchte: Man nehme eine gerade, aufrechte Haltung ein. Man lege die Handflächen z.B. locker übereinander vor den Bauch über den Nabel. Die Atmung sollte sehr ruhig sein. Man sollte sich ihrer bewusst sein und sie auch beobachten. Man hebt den ersten Fuß langsam an und setzt ihn eine halbe Fußlänge seitlich des anderen Fußes wieder ab. Somit stehen die Füße immer versetzt in der Länge zu einander. Immer ist eine Hälfte eines Fußes vorne. Das ganze geschieht im Schneckentempo. Sehr langsames Abheben, Abrollen und wieder Auftreten. Die Atmung sollte den langsamen Bewegungen angemessen sein. Das Einatmen geschieht beim Abheben eines Fußes, nach dem Abrollen atmet man langsam wieder aus. Barfuß (sofern Untergrund und Kälte es erlauben) ist das Ganze besonders günstig, weil zudem die Fußreflexzonen dabei massiert werden. Auch warme Socken sind zuhause eine Möglichkeit.

Lassen Sie sich ein. Gönnen Sie sich diese Entspannung für wenige Minuten am Tag. Täglich eine solche kleine Übung in den Alltag eingebaut, bringt Sie zu sich selbst. Dass dabei nicht nur der Körper positiv erfrischt wird, sondern auch die Gedanken, versteht sich von selbst. Denn während Sie (zumindest zunächst und als Anfänger) darauf achten müssen, dass Bewegung und Atmung im Gleichklang miteinander erfolgen, werden die Sorgen, die sie sonst in ihrer Hetze umlagern, einfach keinen Platz in ihrem momentanen Bewusstsein haben. Und das ist doch auch etwas Schönes.

— 09. April 2012
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