Zwischenmenschliche Beobachtungen

Über merkwürdige Ambivalenzen, denkt Christa Schyboll

Ganz nah um mich herum sind vielfältige Menschentypen, die mich in ihrer Unterschiedlichkeit zugleich beängstigen und faszinieren:

Menschen, mit denen ich lachen kann – aber niemals zusammen leben könnte

Menschen, mit denen ich sehr gut leben kann – und die dennoch einen so ganz andersartigen Humor als ich selbst besitzen, der sich nie in der Pointe trifft

Menschen, die mir immer genau das Richtige schenken – aber mich merkwürdiger Weise dennoch selten einmal richtig verstehen

Menschen, die mich auch auf den feinsten Ebenen noch verstehen - aber dennoch geradezu grotesk zuverlässig anders handeln

Menschen, die gut zu mir sind – und ständig irgendwie auch eifersüchtig auf irgendwas

Menschen, die wunderbar frei von Neid sind – und dennoch etwas gegen meine Art und Weise haben

Menschen, die sehr großmütig sind – und dennoch arge Langeweiler, die mich heimlich gähnen lassen

Menschen, die mich ordentlich nerven – aber so hellwach sind und spannende Persönlichkeiten

Menschen, die oft etwas von mir wollen – aber mitnichten auch nur auf den Gedanken eines fairen Ausgleichs kämen

Menschen, die wunderbar begeisterungsfähig sind – aber unter ihrem eklatant schwachen kritischen Verstand nicht einmal anständig leiden

Menschen, die finanziell oft klamm sind – aber so voller herrlicher Pläne, bei denen man mitträumen will

Menschen, die gut betucht sind – aber ärmlich und geizig gegen sich und die Welt

Menschen, die großmäulige Egoisten sind – die aber dennoch mein Herz durch ihren Charme erobern

Menschen, die gut zu mir sind – und mir dabei die Luft zum Atmen abschnüren

Menschen, die auf entwaffnende Weise brutal ehrlich sind – und mich genau damit beschämen und auf den eigenen Mangel hinweisen

Menschen, die mich umgarnen und umwerben – und mir so schrecklich verlogen dabei vorkommen

Menschen, die mich links liegen lassen – und mich genau damit zwingen, mich mit ihnen noch viel näher zu beschäftigen

Menschen, die mich nicht interessieren – aber vermutlich mein Interesse verdient hätten

Menschen, die leise und schüchtern sind – und darin beeindruckend stark und fest wirken

Menschen, die für mich ganz persönlich offenbar bestimmt sind – aber denen ich einfach nicht genüge

Menschen, die mir unnahbar bleiben – obschon sich meine Sehnsucht nach ihnen längst schon voll entzündet hat

Was ist mit all diesen Menschen? Was ist mit mir selbst und unserem komplizierten gemeinsamen Verhältnis, das sich nicht für die eine oder andere Seite zu entscheiden weiß? Warum greift das eine Zahnrädchen geradezu perfekt, während beim nächsten schon wieder Sand im Getriebe ist? Ist es das, was wir das ganz normale Leben nennen?

— 19. September 2012
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