Stürze im Leben

Warum rappeln wir uns immer wieder auf?, fragt Christa Schyboll

Wie oft fällt ein kleines Kind hin, bevor es das Laufen beherrscht? Ob es jemals je ein Mensch gezählt hat? Es knickt ein, knickt um, landet auf seiner Windel und steht wieder auf. So lange, bis es nicht mehr fällt.

Zumeist hat es liebende Unterstützung in diesem Bemühen. Aber auch die Kinder, die schicksalhaft wenig Zuwendung bekamen, lernen in aller Regel das Laufen.

Beherrschen wir dann als Menschen unsere Gliedmaßen, dann knicken wir auf andere Weise im Leben ein. Nun ist es ein feinerer Bereich, der Herz und Verstand betrifft oder Seele und Geist. Auch damit kann man umfallen oder zu Boden geschmettert werden, wenn es ganz hart kommt. Dann schützt keine sanfte Windel mehr vor dem harten Beton des geistigen Irrtums oder der seelischen Verletzung. Wenn wir Glück haben, fallen wir manchmal aber zumindest in das Verständnis eines anderen Menschen hinein, der uns beim Aufrichten hilft.

Diese Art Stürze begleiten uns bis zum Tod. Immer wieder neu ist unser Aufrappeln nötig. Immer wieder neu haben wir eine Kräftebündelung zu leisten, die den eigenen Körper, die Familie, den Beruf, die Partnerschaft, die Finanzen oder den Rest unseres recht komplizierten Menschenlebens umfassen kann. Woher aber nehmen wir diese Kraft, die uns immer wieder neu zu Boden schleudert? Warum bleiben wir nicht liegen, sind es satt, verweigern uns der nächsten Anstrengung, die ja letztlich doch nicht zu stoppen ist?

Zum einen stirbt die Hoffnung zuletzt, aber zum anderen aber erleben wir in der Regel ausreichend viel Lustgewinn am Leben selbst. Sonst würden wir liegen bleiben. Lebensvitalität ist auch dann gegeben, wenn uns das Leben bei näherer Betrachtung vorübergehend trist und öde vorkommen mag. Energie, Wille, Phantasie und Elan sind von so vielen verschiedenen Kraftquellen gespeist, wie sie eben auch Kinder haben, die laufen lernen und auch beim tausendsten Sturz selbstverständlich weiter machen mit dem inneren Wissen, dass der Sturz Teil der zukünftigen Fortbewegung ist, die Möglichkeiten aufzeigt.

Warum das so ist, bleibt Geheimnis, dem sich nur jeder selbst annähern kann - so er sich darum bemüht. Vielleicht ist es aber auch gar nicht so geheimnisvoll. Vielleicht ist es ja so, dass das Leben an sich in all seinen unterschiedlichen Facetten eben unter allen Umständen gelebt werden will und mit dieser Kraft jeden Menschen auf eine andere Weise speist? Vielleicht ist Leben und Menschsein eine so wundervolle Kooperation, die es uns ermöglicht, nach einem Sturz auch wieder den aufrechten Gang zu probieren, weil sich all diese Energien mit unserem Blut und unserem Willen verbündet haben. Vielleicht sind all das Gründe für die Menschen, sich immer wieder neu notfalls auch am eigenen Haarschopf aus dem Sumpf zu ziehen, weil wir längst von der Makellosigkeit der Teichrose wissen.

— 25. Juni 2013
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