Spass + Technik = Stress?

Wenn das Entfernte ganz nahe kommt, von Christa Schyboll

Erst wenige Jahre ist es her und es erscheint uns wie ein Märchen aus uralten Zeiten: Man hatte Familienangehörige oder Freunde im Ausland und telefonierte mit ihnen über einen Festnetzanschluss, suchte umständlich tagesaktualisierte Billigrufnummern heraus und hörte am Ende der Welt, wenn man Glück hatte, eine oftmals verzerrte und zeitversetzte Stimme, weil die Satellitentechnik mehr einfach nicht hergab.

Oder das Netz war überlastet oder man hatte sonstige Schwierigkeiten, neben unter Umständen auch noch hohen Kosten.

All das ist vorbei. Es mutet uns fast archaisch an, obschon wir von nur wenigen Jahren sprechen. Die Veränderungen durch neue Technik überfordert fast schon unser Erinnerungsvermögen. Und nun schrumpft die Welt also wieder einmal. Das globale Dorf ist nicht nur jederzeit kostenlos zu erreichen, sondern auch mit Bild im Großformat. Man hört nicht nur den anderen Menschen am anderen Ende der Welt, sondern sieht auch, ob er gut oder schlecht aussieht, ob er krank wirkt oder vor Gesundheit und Glück nur so strotzt. Er kann uns eine Behausung in Echtzeit zeigen oder mal eben das aktuelle Wetter vor dem eigenen Fenster filmen, falls wir seinen Aussagen, dass gerade ein gigantisches Unwetter niedergeht, nicht so recht Glauben schenken wollen. Er wandert mit uns durch die Räume, wenn eine kleine Anschaffung zu bewundern ist und seine Minikamera folgt auf Schritt und Tritt.

Durch den direkten Anblick im Sprechen ist er uns "gefühlt" näher als der eigene Partner, der gerade aus der unteren Etage Grüße hochruft, auch wenn die Möglichkeit von Komponenten wie Duft oder Konsistenz noch fehlen. Aber auch dafür wird man ihn wenigen Jahren vermutlich eine Lösung haben, so dass die Echtheit des Scheins noch viel verwirrender werden dürfte.

Es sind gewiss Segnungen, die wir alle begrüßen und über die wir uns freuen, sie nutzen zu können. Direkt zu sehen und zu hören, wie es dem anderen Menschen Abertausende km weiter ergeht, war in Zeiten langwieriger Postwege viele Jahrhunderte zuvor absolut undenkbar. Das zeigt: das Undenkbare kann durchaus denkbar werden, was auch wiederum für das derzeit noch Undenkbare ebenfalls gilt.

Aber sind wir diesen rasanten Entwicklungen auch noch gewachsen? Dort, wo es schön ist, bejahen wir das gerne, einfach weil es uns ja gefällt. Da stellt sich die Frage nicht. Aber dort, wo wir Probleme bekommen, Stress, Überforderung, vielleicht sogar Panik oder glattes versagen, fällt die gleiche Antwort völlig anders aus. Dabei geht es in beiden Fällen um das Gleiche.

Ist der Preis, den wir für die Annehmlichkeiten insgesamt zahlen, zu hoch oder gerade richtig, wenn wir alle Aspekte von Freude einerseits und Belastung andererseits hochrechnen? Am besten wir lassen diese Hochrechnerei und freuen uns erstmal, was intelligente Köpfe und geschickte Hände von Wissenschaftlern, Ingenieuren, Technikern und Handwerkskünstlern uns da geschenkt haben und vertrauen darauf, dass sie für die krankmachenden Belastungen hoffentlich auch noch gute Lösungen finden.

— 12. Juli 2012
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