Typsache!

Über chillen und reinklotzen sinniert Christa Schyboll

Meine Mutter war eine überaus fleißige Frau. Sie hatte nicht nur vier Kinder und eine später pflegebedürftige Schwiegermutter zu versorgen, sondern auch das Haus, ein großer Garten sowie die eigenen Eltern bei der Feldarbeit mit zu unterstützten, zudem putzte sie täglich die Klassenräume der Schule. Nebenbei waren dann noch drei Mahlzeiten für sieben Personen zu richten, Hund, Katze, Einkauf, Wäsche und und und. Das soll erst mal einer nachmachen! Hilfe hatte sie eher wenig … kaum der Rede wert. Ihr blieb also gar nichts anderes übrig, als fleißig zu sein, ob sie wollte oder nicht.

Wenn sie überlastet war, war sie schlecht gelaunt. Wen wundert's! Diese Kombination dürften wohl viele Menschen kennen. Also muss man schauen, dass man sich nicht ständig überlastet, da schlechte Laune Gift für die mitmenschliche Umwelt ist. Doch wie funktioniert vermeidbare Alltagstoxikologie? Das ist leicht geschrieben, schwer getan, wenn's kein anderer tut, aber getan werden muss. Also muss eine Lösung her.

Meine Mutter fand sie für sich: Auszeit-Chillen, zwischendurch, mitten im Chaos… mitten in der noch völlig unerledigten Arbeit. Nicht in jeder Arbeit zu jeder Zeit, aber doch hin und wieder. Verträgliche seltene Male. Aber immerhin so häufig und demonstrativ, dass es mir als Kind sehr gut in positiver Erinnerung blieb. Meine Mutter saß dann inmitten des Chaos und las einen Western. Alternativ einen Liebesroman. Was davon lieber, weiß ich nicht. Aber ich tippe auf Liebesromane. Solche Literatur war bei uns massenhaft vorhanden. Wo sie herkam, wusste niemand. Gekauft war sie jedenfalls nicht. Vermutlich kam sie von freigiebigen Nachbarinnen, die es weiterreichten… sprich, ebenfalls wohl auch damit am hellen Tag chillten?

Wenn Waschtag war, war die Hölle los. Nicht nur heiß und dampfig war diese altertümliche Waschküche, sondern auch gefährlich und mit Schwerstarbeit verbunden. Dann chillte niemand. Auf diese Idee wäre niemand gekommen. Das waren Tabuzeiten für jene unbedingt nötige Auszeit in der sonst permanenten Stresszeit, die immer so etwas wie nach Faulheit aussah und doch genau das Gegenteil war: Gesunde Erholung inmitten eines Berges von Arbeit, die einfach nicht endete.

Später war alles leichter. Die Technik war in so manchem ein Segen; auch wenn ich über vieles heute fluche, weil es mir auf den Geist geht. Dennoch: Viele körperliche Arbeiten waren erheblich leichter. Eigentlich wäre nun die Chill-Zeit nicht mehr so angebracht.

Oder doch? Ich würde es: Liebgewonnene Gewohnheit nennen. Manches war leichter, aber das Schöne soll ja nicht vom Leichten so ohne weiteres verdrängt werden. Also saß sie weiter hin und wieder (!) gut gelaunt in der Küche und… las und schmunzelte und war ganz bei sich. Endlich mal bei sich und ihren Träumen, in der Welt einer Romantik, die das Leben selbst nicht gestattete. Das war mir doch tausendmal lieber als schlecht gelaunt, muffelig, schimpfend und ständig immer nur überlastet.

Man mag darüber lächeln; aber die Sache war ernster und wichtiger als sie aussah. Ich habe diese Eigenschaft der bewusst freiwilligen Auszeit während der Arbeitszeit später gern übernommen und pflege sie noch heute. Trotz noch mehr Technik und weniger körperlicher Belastung.

Manch einer von jenen Pflichtversessenen, Immerzuordentlichen, konzentrierten Achtsamkeitsaposteln kann darüber nur den Kopf schütteln. So mittendrin die Arbeit unterbrechen… und einfach mal alles liegenlassen? Nichts zu Ende gebracht und dann die Beine hoch? Versunken in die Welt der Fanatasie, wo in der Welt der Wirklichkeit alles nach Ordnung schreit? Jepp…!!!

In meinem eigenen Fall dann natürlich mit einem kritischen Auge auf mich selbst. Auch mit der Frage, ob mich gerade nicht viel mehr die Lust bestimmt als die Notwendigkeit eines Überlastungsabbau. Und öfter geht die Antwort in Richtung Lust!

Verwerflich? Nein. Ich arbeite ja immer noch genug. Finde ich jedenfalls. Auch wenn es in meinem Fall halt mehr mit dem Kopf ich. Das strengt auch an, wenngleich anders. Ich kann benennen, was ich tu und mich oft selbst damit erstaunen. Deshalb stehe ich auch dazu, hin und wieder nichts zu tun und dabei ein gutes Gewissen zu haben. Wie meine Mutter.

— 13. Juni 2022
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