Liebe

Über das Beste von der Zuckerseite, sinniert Christa Schyboll

Schafft man einen gesunden Abstand zur eigenen Erwartungshaltung, zieht in die werdende Liebe auch die Freiheit ein. Dann beginnt weitere Vertiefung, weil man weniger braucht und mehr geben kann, ohne auf direkten Ausgleich zu starren.

Was alles ist Liebe? Und wie wünschen wir sie uns denn? Vor allem doch wohl nachhaltig, dauerhaft und garniert mit Vertrauen, Wärme, Wohligkeit, fairer Partnerschaft und gutem Sex. All die anderen Wünsche, die man jetzt noch äußern könnte, lasse ich außen vor. Sie finden sich in der einen oder anderen Form ja im kurz Skizzierten wieder.

Soweit die frommen Wünsche, die insofern Realität sind, da wir immer wieder erleben, dass all dies ja bei uns selbst und anderen Paaren zeitweise Wirklichkeit ist – und damit also kein Wolkenkuckucksheim. Der Casus Knacksus besteht lediglich in der Frage der Dauerhaftigkeit und der Gleichzeitigkeit all solcher Wünsche – gepaart mit der sehnsuchtsvollen Erwartungshaltung an den Partner.

Aber ist es denn nicht so, dass doch zumeist das eine oder andere der Wünsche entweder einander ablöst oder auf einander aufbaut? Als nimmersatte Menschlein voller Bedürfnisse möchten wir am liebsten natürlich gerne alles auf einmal. Und das möglichst oft oder besser immer. Als Wesen, die jedoch selbst mit einer Reihe von Fehlern und Schwächen behaftet ist, erfahren wir zweierlei: Einerseits dass wir selbst solche Wünsche des Partners aus vielen Gründen nicht ständig befriedigen wollen oder können und umgekehrt, dass es uns doch ebenso wenig gelingt, den ständig bereiten hochattraktiven Tausendsassa zu geben, der gleichzeitig alle Verwöhnorgien genauso auf Knopfdruck bereit hält wie die Weisheit eines gereiften Vertrauens zu jeder Sekunde des Seins, wenn der Partner wieder andere Bedürfnisse hat.

Warum uns das alles nicht gelingt, ist klar: Ein jeder hat einen solchen Sack voll an individuellen Aufgaben, Schwächen, Talenten, Herausforderungen oder Problemen zu meistern, dass uns diese gewünschte Perfektion einfach zu anstrengend ist und eben nur hin und wieder in Teilbereichen gelingt. Wo es gelingt, genießen wir die Momente des Glücks. Und dann erfahren wir, dass Liebe eine Wirklichkeit ist und zugleich ein feiner Wachstumsprozess, der immer wieder neu errungen werden muss.

Wachsen sollten dabei aber eben möglichst nicht die eigenen Wünsche an den Partner, sondern die eigene Fähigkeit, von den eigenen Erwartungshaltungen mehr und mehr frei zu werden und den Partner nichts als Erfüllungsgehilfen des eigenen Glücks zu instrumentalisieren. Denn das sollte sich jeder erst einmal selbst erarbeiten, trotz und mit dem Partner – aber nicht auf Kosten des Partners. Schafft man einen gesunden Abstand zur eigenen Erwartungshaltung, zieht in die werdende Liebe auch die Freiheit ein. Dann beginnt weitere Vertiefung, weil man weniger braucht und mehr geben kann, ohne auf direkten Ausgleich zu starren. Liebe und ein gewisses Maß an echter innerer Unabhängigkeit bedingen sich. Überall dort, wo Liebe unter Abhängigkeit stattfindet und ohne das Element der Freiheit, ist sie noch zart und schwach.

Erkennt man das und reflektiert sich selbst und die eigene Partnerschaft, ist jedoch das Wachsen der Liebe ein Garant, der das Schönste des Lebens bereithält.

— 18. Oktober 2011
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