Der Klassiker: Entliebt! – Und nun?

Zwischen Liebe und Verliebtheit unterscheidet Christa Schyboll

Verlieben ist leicht. Lieben, so richtig dauerhaft, bedingungslos: schwer, für manche unmöglich. Der Klassiker hat wieder einmal zugeschlagen: Nach schönen Jahren nun entliebt! Die Gründe dafür so vielfältig, wie Menschen halt verschieden sind. War es "Liebe", was man gemeinsam teilte? Man meinte es zumindest.

Doch echte Liebe hat kein Mindesthaltbarkeitsdatum. Alle anderen Gefühle durchaus schon. Denn sie befinden sich im Fluss beständiger Veränderung, dem wir alle unterworfen sind. Wer aufrichtig liebt, entliebt sich nicht – oder hat eben bisher auf eine Art geliebt, die ein ungewolltes Missverständnis war: nämlich unter gleich vielen verschiedenen Bedingungen seine Zuneigung verschenkt – statt unter Bedingungslosigkeit.

Nun kommt eine große Palette an Möglichkeiten, warum sich zwei Menschen innigst zugetan sein können: Aussehen, Charakter, Intelligenz, Reichtum, gemeinsame Hobbys, geistige Interessen, gleiche oder ähnliche Werte, Lebenseinstellung, Humor, Zuverlässigkeit, Sympathie, Karriere, Macht, Schönheit… usw. usw.--- all das und mehr können so liebenswerte Eigenschaften oder Attribute sein, dass man darauf vertraut: Das hält lange, vielleicht lebenslang! Wir haben eine tolle Basis! Und sie ist sogar benennbar.

Pustekuchen! Diese Seligkeit hält oft nur einige Jahre, manchmal noch kürzer, trotz der gegenseitigen Faszination. Ja, es gibt sie noch, doch mittlerweile ist es mehr und mehr die Ausnahme, wo es immerhin sogar für ein paar Jahrzehnte, noch seltener für eine lebenslange Verbindung tatsächlich reicht. Die Statistiken sprechen unbarmherzigen Klartext, was Trennungen im Zeitkontext betrifft. Übrigens kulturübergreifend, global.

Was lief falsch? Vor allem der Generalirrtum, der nicht miteinschloss, dass man sich selbst und selbstverständlich auch der Partner im Laufe der gemeinsamen Jahre noch oftmals gründlich verändert.

Der Richtungen gibt es da viele. Äußerliche und innerliche Änderungen. Der eine geht in die Weite oder die Breite, der andere in die Tiefe, der eine schafft Großes, der andere fühlt sich dabei immer kleiner… Bisher vorhandene Stärken können noch stärker, aber auch durchaus schwächer werden. Und mit jeder kleinen Änderung des einen oder anderen kann sich auch die Stimmung untereinander verändern… bis hin zur Unkenntlichkeit jener Persönlichkeit, die man einmal im festen Glauben auf Dauer geehelicht oder sich gegenseitig fest versprochen hat.

Was da passiert ist? Man nennt es Entwicklung. Entwicklung ist normal, gesund, folgerichtig… wenn sie gut läuft. Sie kann aber viele Wege einschlagen, die vorher niemandem in den Sinn kommen. Sie kann nebeneinander geschehen, sie kann sich hinterherlaufen in einer Paarbeziehung, sie kann alles auseinanderdividieren, um nur die Grobrichtungen anzuführen. Doch da niemand die Richtung der eigenen Entwicklung kennt und noch lange nicht jede Entwicklung auch gutheißen kann, verändern sich eben auch die Gefühle zu einander, die man mit dem Etikett "Liebe" versah und auch so fühlte, oft aber nur eine Unterart der Liebe war: Verliebtheit, Sympathie, Anreiz, Attraktivität, Anziehung, Leidenschaft, Zuneigung, Zärtlichkeit usw.

Fast kaum ein junges Paar ist auf diese Entwicklungen tatsächlich vorbereitet. Sie passieren oft unmerklich über Jahre, schleichen sich leise ein, zeigen sich mal hier und mal da und sind nur eines nicht: wirklich schon eindeutig. Man spürt eine Veränderung bei und mit sich selbst und am anderen. Das verunsichert, weil man das Ergebnis noch nicht kennt.

Das Zwischenergebnis jedoch ist meist wenig geeignet, um frühzeitig Hoffnung zu schöpfen: Das wird wieder! - Denn von der ursprünglichen Harmonie geht es erst zunächst einmal immer tiefer in die schmerzliche Ent-Zweiung. Immer weniger passt! Am wenigsten die beiden, um die es geht. Die Unterschiede, die es schon immer gab, treten nun immer deutlicher hervor und werden vom anderen krummgenommen. Die Sichtweisen haben sich teils bis zur Unkenntlichkeit verändert. So hatte sich das niemand von beiden gedacht. Harmonie war doch viel angenehmer. Und nun ist sie futsch… oder zumindest so selten erlebbar, dass man sich fragt: War es das nun? Hat es noch Sinn, gemeinsam den gleichen Weg zu gehen? Was ist mit den Kindern? Auf welchem der Wege leiden sie weniger darunter, dass es nicht mehr so ist, wie wir es uns ehemals vorstellten?

Patentrezepte gibt es keine. Jeder Fall ist einzigartig. Und wie es Fälle gibt, wo eine möglichst sofortige Trennung die Ultima Ratio ist, so gibt es auch Fälle, wo es angezeigt ist, diese qualvolle Übergangszeit tapfer auszusitzen oder, wenn möglich, aufzuarbeiten. Letzteres ist leider vielen versagt. Denn schon beim Versuch verbaler Klärungen treten die inneren Widersacher oft so vehement mit Argumenten gegeneinander an, dass eine Verständigung über Sprache oft schwierig bis unmöglich erscheint. Herzen sind verhärtet, Gefühle blockiert.

Was ist trotzdem ratsam? Ich plädiere für Gedankenklarheit, die auch wieder zu mehr und gesunder Gefühlsklarheit führen kann. Wer sich den Gedanken tief genug zu Gemüte führt, dass sich ein jeder Partner in einer Gemeinschaft unbedingt verändern darf, soll und kann/muss, wird schon einmal von der mentalen Grille erlöst, es müsste alles so bleiben, wie es jemals war. Das wäre die totale Stagnation. Eine Art von Tod mitten im Leben. Nichts passiert mehr. Das ist schon der Krankheit stärkster Keim, hochinfektiös, der sich über alle anderen Gedanken legen wird und die Gefühle verkümmern lässt.

Menschen, die zusammenleben wollen, müssen beide begreifen lernen, dass die Veränderung seiner selbst und selbstverständlich auch des Partners ein lebenslanger Prozess ist, der nur einer natürlichen Notwendigkeit folgt.

Spricht man die beidseitigen Veränderungen an und anerkennt das Recht darauf, kann man sich mehr und andere Freiräume neu erschaffen. Diese sollten/müssen so beschaffen sein, dass der andere damit gut und vor allem auch sinnerfüllt leben kann. Kann er das auf keinen Fall, so kann die Trennung letztlich sinnvoll, gar alternativlos sein.

Ich glaube, dass viele (?) Paare falsche Entscheidungen treffen, ohne es zu ahnen, wenn sie sich allzu schnell trennen, ohne die Alternativen ernsthaft probiert zu haben. Ihr Blick ist allzu oft auf den momentanen Schmerz innerer Vereinsamung fokussiert, ohne auch schon eine gute andersartige gemeinsame Zukunft visionieren zu können, die gemeinsam durchträgt. Würden sich alle Trennungswilligen klarmachen, dass das, was sie gerade als die persönliche Hölle erleben, im Grunde das Normalste der Welt ist, eben Entwicklung, die auch nur ein weiteres von vielen Übergangsstadien ist, würden sie vielleicht etwas gelassener damit umgehen (lernen).

Denn nach den Phasen von Absturz und Tiefe kommt auch bei sehr vielen wieder ein neues Hoch, wenn nur die richtigen Wege gefunden werden. Ob sie gefunden werden, hängt nun wieder auch am Durchblick, der Großherzigkeit und der Einsicht ab, dass beide genug Luft zum Atmen brauchen in der Art, wie sie leben möchten. Da zählt jedes Lot an Reife bei beiden.

Dort, wo es nicht im Einklang neu versucht werden kann, bleibt immer noch die Option einer tiefen Verbundenheit und Freundschaft über eine Trennung hinaus. Auch getrennt kann man die gemeinsamen Kinder liebevoll erziehen. Auch wenn andere Partner mit in das Lebensumfeld früher oder später integriert werden (müssen), ist es möglich, etwas von jener wertvollen Zuneigung zu behalten, die einmal als Startschuss für die Ewigkeit erlebt wurde, auch wenn sie auf dem harten Stein der Realität früher als gedacht landete und zerbarst.

Alles, was echt war in der Liebe, überlebt das! - In welcher äußeren Form auch immer.

Und die Kinder? Sie brauchen die Liebe von beiden Elternteilen. Lebenslang, dringend, und sie haben ein Recht darauf, dass sich die Erwachsenen darum kümmern, dass dieses Geschenk auch eingelöst werden kann.

— 14. Juni 2022
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