Spionage

Der Mensch als Ressource, Störquelle und Faktor für Konsum und Krieg. Von Christa Schyboll

Nicht, dass wir es schon länger geahnt hätten. Unsere Daten werden gesammelt. Nicht nur vom NSA, FBI, CIA und DIA - sondern auch von unseren sozialen Netzwerken und gewiss einer Reihe anderer Sammelwütiger aus Wirtschaft und Politik, die damit früher oder später ihr eigenes Spiel treiben werden.

Das, was uns eine fast grenzenlose Freiheit mit der Möglichkeit einer Welt weiter Meinungsäußerung bringen sollte, bringt uns zugleich unseren Kerker. Wir sind Gefangene unserer eigenen Meinungsäußerung. „Na und?“, mag so mancher zurück schmettern, „wir haben Meinungsfreiheit und sind stolz darauf, sie in fast allen gängigen Sprachen der Menschheit jederzeit nutzen zu können und laut zu äußern. Selbst der Dolmetscher wird kostenlos gestellt!“. Als wenn es darum ginge!

Information ist konzentrierte Macht. Wer viel Information in den Händen hat, hält eine geladene Waffe. Wann und wie er sie verwendet, wissen wir nicht. Aber wir wissen, dass wir selbst die Munition sind, die sich zum Gebrauch selbst dargeboten hat. Natürlich werden die Argumente des Kampfes gegen den weltweiten Terrorismus zur Begründung der Sammelwut angeführt. Und natürlich hat jedes Land seine eigenen Sicherheitsinteressen, die geradezu danach schreien, immer mehr und mehr zu sammeln. So stützt die Begründung die Bemühung schlechthin.

Der gläserne Bürger ist längst Wirklichkeit. Wie sehr, ahnen wir nicht einmal. Aber der gläserne Bürger scheint sich nach und nach zu Panzerglas zu verdichten. Man kann ihn bis aufs Äußerste durchleuchten. Doch er ist so „hart“ geworden, dass ihn nichts mehr umwirft. So ist das eben in Zeiten des Outens! Immer mehr Menschen sind geradezu heiß darauf, mehr und mehr von sich selbst unbedingt preisgeben zu wollen. Jedes private Detail, jedes Bildchen, jedes Date wird von den Betroffenen selbst nicht nur in die Öffentlichkeit gezerrt, sondern will geliked werden. Je mehr es lesen, umso besser für die Person, die längst am Mainstream einer Outing-Sucht klebt, wie die Fliegen am Honig. Terroristen sind es zumeist nicht. Aber Menschen, denen Privatsphäre mehr und mehr zum persönlichen Grauen wird, die es zu überwinden gilt. Diese Entwicklung ist kein Zufall. Die Scheinbedeutung, die der einzelne dadurch angeblich erhält und die seine Eitelkeit kitzelt, ist vortreffliches Werkzeug für dieses Geschehen.

Geheimdienste haben, was die Privatpersonen angeht, extrem leichtes Spiel. Ob und für was diese Daten interessant sein können, hängt vom Ziel und der Intention des Sammlers ab. Terrorismusbekämpfung ist ja auch nur eine Begründung und nicht alleiniges Ziel. Die gegenseitige politische und wirtschaftlichen Bespitzelung, der technologische Datenklau, der Zeitvorteil kurzfristiger Macht wird immer wieder schnell durch neue Programme, Ideen und kreative Finessen dem jeweiligen Gegner entzogen. Es bleibt ein Spiel. Jedoch ein blutiges. Hingen nicht Kriege, Elend, Schmerz und Tod für viele Menschen daran, könnte man es als lächerlich bezeichnen. Sandkastenspiele scheinbar „blitzgescheiter Hirne“, die mit an einer Entmenschlichung arbeiten, die alles übersteigt, was noch vor wenigen Jahrzehnten unmöglich erschien. Der Mensch als Faktor für Kriege, Konsum und Macht. Der Mensch als Größenordnung, Störquelle oder Ressource. Darauf läuft es hinaus. Der Mensch als Ding, das zu funktionieren hat, notfalls über das Mittel der Sucht (Konsumsucht, Drogen, Bedeutungssucht usw.)

Die Geheimdienste wissen genauestens um ihre „Feinde“. Der größte Feind dürfte der Faktor Zeit sein, den die Gegenseite zur Entwicklung eines noch besseren Spionageprogramms als Waffe im Anschlag hält. Wechselweise, versteht sich. Ein neues Programm, das die gestohlenen Daten entweder löscht oder selbst wieder stiehlt - und schon kehrt sich die Machtfrage um.

Die Menschheit bekommt weder den Hunger in den Griff, noch die Meeresverseuchung. Sie versagt bei lokalen kriegerischen Konflikten und kann sich einen globalen Konflikt (noch) nicht leisten. Aber Zentren der Machtkonzentration tun so, als könnten sie, wenn sie nur weiter sammeln! Sammler und Jäger! Seit Anbeginn!

Sesshaft wurde nicht die Vernunft. Sesshaft wurde allein der Wille zur Macht. Hier werden die Fäden gezogen. Und der Mensch lässt sich leiten und tanzt… als hätte es niemals vorausschauende Warner gegeben!

— 19. Juni 2013
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