M wie Märchen

Gute und böse Märchen im Wandel der Zeit von Christa Schyboll

Beim Begriff des Märchens denken manche an traumhafte Kinderzeiten, wo die Großeltern oder die Eltern noch zu erzählen wussten und uns in den Bann für eine kurze Zeit am Abend schlugen. Angereichert mit inneren Bildern versanken wir dann in den Schlaf.

Der Kampf zwischen Gut und Böse, denen wir in den Märchen folgten, hatte spannende und häufig sehr dramatische Züge, die wir in unseren Kinderherzen mit durchlebten und durchlitten. Durchaus auch mit Ängsten und Gefahren, aber am Ende siegte das Gute. Daraus zogen wir wertvolle Impulse, von denen wir keine Ahnung hatten, dass und wie sie in uns wirkten. Auch die Eltern wussten in der Regel nichts von den Archetypen und dem enormen inneren Wert. Sie folgten dabei häufig einem guten Gefühl oder einer guten Tradition - so sie sie selbst so erlebt hatten und kannten.

Später fanden leider eine Reihe von Psychologen und Eltern, dass doch Märchen viel zu grausam für kleine Kinderseelen seien und gingen in verflachte Geschichten ohne Dramatik über, die ziemlich sinnentleerte Inhalte den Kleinen einflößten und deren "Wert" für die innere Entwicklung eher im Nichts anzusiedeln ist – sieht man davon ab, dass aber ein Sich-Kümmern der Eltern wenigstens in der Eltern-Kind-Beziehung dabei aber einen wichtigen Wert dennoch hatte.

Heute sind Märchen meist abgelöst durch Fantasy moderner Art, wo Gut und Böse aber wiederum martialisch gegeneinander kämpfen und das Böse manchmal nicht immer der Verlierer ist. Fast wie im richtigen Leben. Ob dies für Kinder unter sieben - und von denen ist an dieser Stelle die Rede - gleichwertig gut in der Entwicklung der Persönlichkeit und der Seele wirkt oder gar besser oder gefährlicher, hängt von vielen Betrachtungen ab, deren Raum hier leider nicht gegeben ist.

Doch auch die Erwachsenen erleben Märchen! Leider nicht nur die guten alten, sondern neue moderne, die manchmal überhaupt keinen Zauber haben - sondern eher eine dunkle Form von Magie: Zum Beispiel das "Märchen" der Demokratie, die keine wirkliche ist, oder das "Märchen" von Freiheit, die überall gesetzlich legal beschnitten wird. Die Märchenliste umfasst aber noch viel, viel mehr, wie z.B. auch das "Märchen" vom ungebremsten Wachstum, das "Märchen" von Manipulation oder der Konsumverführung.

Viele moderne "Märchen" haben sich da angehäuft, was Menschen alles so glauben. Fast schauen sie wie mit Kinderaugen erschreckt auf, wenn sie von Hintergründen erfahren, warum ihnen diese Märchen auf die eine oder andere Weise von Medien, Politikern oder gesellschaftlich relevanten Gruppen denn immer wieder neu erzählt werden. Die Häufigkeit dabei ist jedoch wichtig. Denn mit ihr implantiert man das Vertrauen, dass an dem Märchen ja was dran sein muss. So oft gehört: das kann doch nicht falsch sein! Da muss doch was dran sein.

Märchen und Fantasy können bereichern oder lügen, sie können uns in sehr verschiedene Richtungen manipulieren - je nachdem wie unaufmerksam oder uninformiert wir sind oder wie raffiniert der jeweilige Märchen-Erzähler agiert.

Auf der Hut sein, wie der Held im guten alten Märchen, sollte uns Erwachsenen dabei so selbstverständlich sein, wie das tägliche Zähneputzen…

Aber selbst das ist für viele ein Märchen …

— 04. August 2010
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