Das neue Junkie-TV

Gedanken über das tägliche Dope für Nachrichten-Süchtige von Christa Schyboll

Nachrichten machen süchtig. Damit die Süchtigen bedient werden können, bekamen sie früher stündlich ihre Dosis. Aber weil Süchtige mit allem so ihre Probleme haben, auch mit der Zeit und ihrem Fluss und Vergehen, hat man diesen Stundenrhythmus auf jeweils die volle Stunde verlegt. Das kann man sich merken.

Man konnte hören und sehen, was alles innerhalb einer einzigen Stunde schon wieder alles in der Welt so passiert ist. Man konnte sich nach sechzig Minuten endlich wieder neu aufregen. Aber man wusste auch, dass Süchtige ihre Sucht über kurz oder lang steigern. Also ging man irgendwann dazu über, diese lange Zeit der Sucht endlich zu verkürzen. Methadon für den Geist. Ein vollwirksames Opioid durch regelmäßig einfließende Bad News, in denen sich die Seele suhlen konnte. Nun jede halbe Stunde. Dort aber nur das Wichtigste. Also dass Krasseste, damit die Stunde bis zu den nächsten Nachrichten nicht so unerträglich lang wurde.

Das ging ein paar Jahre gut. Aber wie das mit Junkies so ist: Irgendwann jammern sie wieder nach mehr! Man beobachtete erste Auswüchse. Einzelfälle brachen beispielsweise in Redaktionsbüros ein. Andere Typen stahlen dreist aktuelle Akten vom Schreibtisch des nächsten Kommissariats. Um ihre Sucht zu bedienen, nahmen sie jede Gefahr und jede Blamage in Kauf. Es kam stellenweise zu unsäglichen Szenen, nur um die rechte Dosis Bad News zu bekommen. Selbst jene Zeitung mit den BILDern erschien dreimal am Tag. Das reichte nicht. Die Weltpresse hatte ein Einsehen, traf sich und erarbeitete im Zusammenhang mit der Weltgesundheitsorganisation ein neues Suchtprogramm. Es wäre unmenschlich gewesen, diese globale Sucht nach Nachrichten weiter unbehandelt zu lassen. Sie breitete sich epidemisch aus.

Man schwenkte um. Man erfand nun Nachrichtensender, die diese unerträglich lange halbe Stunde von Nachricht zu Nachricht verkürzten. Man erfand die nun dauerablaufende Headlines. Ein Endlosband, das die Hauptschlagzeilen über die Widrigkeiten der Welt nun immerfort zeigte. Kein Warten mehr. Alles im Sekundentakt. So dachte man. Die volle Methadon-Dosis für den Verstand. Tag und Nacht. Immer.

Aber man irrte sich. Das stimmte leider nicht. Denn diese beständige Headline im unteren Teil des Fernsehgerätes, des Internetfernsehens oder smarten Ipad erwies sich nach einer gewissen Zeit wiederum als völlig unzureichend für die Befriedigung der Sucht nach immer Neuem, möglichst Schrecklichem. Denn mit dem Grauen der anderen stand man selbst vortrefflich gut im Leben und konnte sich laufend gut fühlen, besser, am besten. Die armen Schweine alle! Ein Glück, dass man selbst nicht gerade ein Mordopfer war, beklaut oder rausgeschmissen wurde, kein Problem mit der Wasserzufuhr hatte und auch nicht schon wieder den Balkon vor dem nächsten Zyklon aufräumen musste. Je mehr Schrecken die Welt überfiel, je besser fühlten sich die Süchtigen, die am Rand der Welt dem Rest nur interessiert zusahen, als schauten sie in einen Zoo. Das war eine feine Sache! Von ihr konnte man einfach nicht genug bekommen.

Aber der menschliche Geist stand dennoch nun vor einem neuen Geduldsproblem. Denn er hatte nun während der ablaufenden Schlagzeilen genau auf jene zu warten, die endlich einmal interessant genug waren, um wahrgenommen zu werden. Die es lohnten, dass man den ständig begierigen Blick auch dorthin lenkte. Denn immerhin musste man Prioritäten setzen und zu Gunsten der Nachrichten andere Tätigkeiten unterlassen. Sich waschen zum Beispiel oder das Date mit dem Chef. Denn leider erdreisteten sich nun die Nachrichtenredakteure, Wichtiges mit Unwichtigem zu vermengen. Da wurde man mit deutscher Politik gelangweilt, während Amerika schon wieder Amok lief. Aber man wollte nur den Amok und nicht die langweiligen Details über die zähen Koalitionsverhandlungen lesen.

Dann kam endlich einer auf die Idee von Junkie-Tiwi! Ein Programm eigens für Süchtige, dass sich nicht mehr nur allein einseitig auf Bad News versteifte, die einzig nur good sind, sondern auch diesem albernen Nacheinander auf Laufbändern den Hahn abdrehte. Junkie –TV erfand den !Platsch. Dieser zeigte gleichzeitig und ganzseitig mit vielen winzig kleinen Bildern Terror, Mord, Blut, Skandal, Attacken, Krieg, Gewalt, Zoff, Betrug usw. alles auf einen Blick. Jede hatte zehn Worte für eine Unterzeile, die alles ausführlich erklärte. Mehr brauchte es nicht. Texte mit längerem Inhalt sinnhaft zu verarbeiten, verweigerte das Gehirn. Natürlich musste man schon genau hinschauen. Es geriet etwas winzig, weil die Welt der Menschen ja entsetzlich viel davon aus allen Erdteilen ständig zu bieten hatte und es auch kein Ende nahm. Aber das Problem mit der Verpixelung würde man auch noch lösen. Wozu gab es die Wissenschaft der Optik, die sich endlich einmal auch quantenphysikalisch ein wenig anstrengen konnte.

Endlich hatte diese endlos langweilige und völlig unzureichende Form einer ehemals stündlichen Nachrichtensendung, die später auf halbstündig verkürzt wurde und dann in einer ständig ablaufenden Headline komprimiert war ein Ende. Und der offene, intelligente, an allem Neuen interessierte Weltbürger bekam seine letzte Befriedigung.

— 22. November 2013
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