Meditation

Om mani padme hum – oder die Unmöglichkeit der Stille von Christa Schyboll

Alles ist fein gerichtet. Festnetzanschluss gekappt, das Handy ausgeschaltet, Türklingel abgeklemmt. Nichts wird mich stören. Endlich kann ich in Ruhe meditieren.

Wie wichtig meditieren ist, sagen mir wöchentlich die Zeitschriften der Krankenkassen, der Apotheker und Naturkostläden, die Frauengazetten, die Tageszeitungen und ständig Tante Lisa. Auch meine Nachbarinnen und natürlich die Yogalehrerin. Ja, ich habe begriffen! Ich bin unvollkommen, weil ich nicht genügend und richtig meditiere. Überhaupt kommt mein gesammeltes Unheil aus mir selbst und meiner ewigen Umtriebigkeit. Ich entspanne eben nicht genug!

Jetzt aber! Alle sind außer Haus und werden es für mindestens zwei bis drei Stunden bleiben. Zeit genug, eine neue innere Meisterschaft zu erringen. Om mani padme hum…. Sanskrit. Ich beginne mit dem bekanntesten und wirksamsten aller Mantrams zuerst. Sicher ist sicher. Hier steckt eine Kraft drin, die es schaffen wird, mich endlich auf den Weg der Glückseligkeit zu bringen. Nicht direkt ans Ziel, aber auf die Autobahnzufahrt sozusagen. Natürlich spreche ich es perfekt tibetisch aus und intonieren peme statt padme. Bin doch kein Anfänger!

Die Augen sind zu, der Rücken gerade, die Daumen und Zeigefinger in Mudrahaltung. Alles ist Bewusstsein. Das wissen auch meine viertausend Nervenfasern an den Fingerspitzen. Alles ist nun wie es sich gehört. Die Stimme tönt tief aus dem Bauch. Om mani peme hum…. Om mani peme hum… Man darf mit der Stimme spielen, sie frei lassen, an nichts denken… Ohhhmmmm…… Ohhhhhmmmm… Ich fibriere bereits. Das Om ist der Urklang. Da allein liegt eigentlich schon alles drin was man braucht. Aber der Mensch liebt das Beiwerk. Also mani peme hum dazu…. Ohmmmm…. Ohmmm… Es hört sich an, wie Ohm Hein… Der Bruder meiner Mutter. Ohm sagten wir früher statt Oheim, was Onkel bedeutete. Oheim zu sagen wäre lächerlich. Es war Ohm Hein, Ohm Jakob. Und jetzt Ohm padme…

Verflixt. Ich bin vollkommen rausgerutscht. Denke an alte tote Onkels, statt an das Nichts. Dabei ist das Nichts doch so schön leer, dass es doch ein Leichtes sein müsste, an es nicht zu denken! Dass sich aber genau in diese Leere unnütze Nebengedanken wie klebrige Läuse einnisten, nur weil Om und Ohm so unheimlich gleich klingen, ist doch wieder einer von diesen kosmischen Finessen, die es verhindern, dass die Menschheit auf einen Schlag erleuchtet wird.

Ich kehre tapfer und gutwillig zurück zur Kraft der Stille. Mein Rücken ist mittlerweile krumm wie ein Flitzebogen. Er wird neu ausrichtet gerichtet. Am unteren Ende der Wirbelsäule nistet immerhin die Kundalinischlange, die nur aufsteigen kann, wenn ich gerade sitze. Die Stubenfliege mit ihrem ekelhaft lauten Summen meditiert auch. Ihr Om wird zum nervigen Sumsen. Ich werde sie stur ignorieren. Ich werde in die Tiefe des Seins hinabtauchen und an das Nichts denken, in dem ich es partout nicht denke! Nichts leichter als das. Ich werde tapfer weiter Om singen und ruhig werden… ganz ruhig. Dass ich mich nun aber kurz am Hals und gleich darauf an der Stirn kratzen muss, macht mich ärgerlich. Gerade erst hatte ich das Mudra wieder perfekt gerundet und nun schon wieder diese Fingerunterbrechung. Ohmmm… ein neuer Versuch. Tief und tönend. Ich bin allein.

Dachte ich. Mich kitzelt wieder was. Der Kater kommt. Er sieht mich so sitzen. Mitten im Wohnzimmer auf dem Boden. Meine komischen Geräusche sind ihm sehr fremd. Ich bin so anders für ihn. Er streicht mit seinem Schwanz um meine Beine. Ich blinzele mit einem Auge nach ihm. Nur ein klitzeklein wenig mit herab hängenden Lidern. Dann schmust er sich an. Ich intoniere weiter Ohhhhmm. Dann miaut er jämmerlich. Er auch? Etwa auf dem Weg zur Katzenglückseligkeit? Oh(m) nein, er hat noch nicht gefressen! Hungrig zu sein auf dem Weg der Erleuchtung lenkt nur ab. Und außerdem habe ich nun auch einen gesunden Appetit und werde danach ein Entspannungsschläfchen halten. Vielleicht geht das Ganze ja auch irgendwie im Traum. Ohhhm.

— 10. Oktober 2010
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