Meinungen

Vom Missverständnis zwischen Meinung und Urteilskraft. Von Christa Schyboll

Zwischen Meinungen, Kritiken, Urteile knirscht oft Sand im Zahnradgetriebe, wenn man die Unterscheidung nicht deutlich vornimmt. Nicht wenige Menschen schmeissen diese Begriffe in einen Topf und wundern sich nachher, warum es zu Missstimmungen kommt. Diese hätten oft leicht vermieden werden können, wenn man sich die Unterschiede bewusst gemacht hätte.

Meinungen hat jeder. Nicht unbedingt zu jedem Thema, aber doch zu Vielem. Dabei spielt es für die meisten Menschen keine Rolle, ob die eigene Meinung auch kompetent durch ausreichendes Wissen gestützt ist oder nicht. Man hat sich halt seine Meinung gebildet. Doch aus was und warum?, frage ich mich oft, wenn ich höre, wie Menschen "mal eben so ihre Meinung sagen" und damit aber auch häufig gleich gern ein hartes, erbarmungsloses Urteil über etwas oder jemanden fällen.

"Meinung" kommt sprachlich von "meinen". Psychologisch gesehen jedoch wohl auch von "mein"… Meine Auffassung, meine Sichtweise, meine Meinung! Eine Meinungsäußerung wird allgemein wie ein Fürwahrhalten eingeschätzt, das sich keiner strengen Prüfung stellen muss und den eigenen Irrtum mit einkalkulieren sollte. Sollte! Aber der Meinungsmacher oder Meinungsäußernde vergisst das häufig und sagt seine Meinung oft in einer Art und Weise, als sei diese eine unverrückbare Wahrheit für die Welt oder betreffe die Wirklichkeit aller Menschen. Nämlich in aller Schärfe, in aller Dummheit und gleichzeitig mit vollem Selbstbewusstsein. Die Sache mit der Möglichkeit des Irrtums ist in solchen Momenten ein Stiefkind des eigenen Bewusstseins und an den äußeren Rand gedrängt. Das ist es wohl auch, warum nicht wenige Menschen auf "ungefragte Meinungen" ärgerlich oder sauer reagieren. Dass eine Meinung eher dem Glauben, als dem Wissen verwandt ist, vergessen die meisten Meinungssager ebenfalls gern.

Neben der Lehrmeinung und der öffentlichen Meinung gibt es vor allem die private Meinung, die einem Menschen schwer zusetzen kann. Denn hier ist ein Mensch von den doch sehr individuellen Wertvorstellungen eines anderen Menschen unmittelbar betroffen. Hier hat er sich dann einem ganz andersartigen Geschmack, unvergleichlich anderen Gefühlen oder einer eventuell völlig fremden Geisteshaltung zu stellen, die vielleicht manchmal auch vorlaut oder dummdreist auf ihn einprasselt.

Wird man im Privaten mit der Meinung eines anderen konfrontiert, die der eigenen Meinung völlig entgegensteht, geht nicht selten ein Kampf der Argumente los, den häufig aber niemand gewinnen kann, wenn man zugleich auf zwei Ebenen spricht. Ob man sich den "Schuh anzieht" oder über den Dingen steht, hängt von der Situation und der Verbandelung der Betroffenen ab. So lange sich Kontrahenten nur über die Schiene von Mein-ungen austauschen und nicht in die Klarheit zu einer Urteilskompetenz gelangen, ist es reine Glückssache, wenn sich die Meinungen am Ende dennoch flächendeckend treffen.

Unterschied zwischen Meinung und Urteilskraft

Begreift man den entscheidenden qualitativen Unterschied zwischen Meinung und Urteilskraft, ist in der Auseinandersetzung viel gewonnen. Dann kann man sich eine neutrale Basis erarbeiten, auf der man in der Sache selbst von der bloßen individuellen Meinung zum fundierten Urteil über etwas oder jemanden gelangt. Logik, Argumente Schlüssigkeit, Stimmigkeit, Wissen, Information usw. stehen dann auf einem völlig anderen Boden der Tatsachen, als jene Schnellschüsse aus dem Bauch, die Meinungssager oftmals favorisieren und die zudem oft den blitzschnellen Automatismen von Sympathie oder Antipathie unterliegen.

Die Philosophie zählt die "Meinung" zu den Begriffen der Erkenntnistheorie. Auch hier stoßen Wissen und Meinung an eine Grenze, die sich reibt. Auch deshalb, weil beides sich gern an den Begriff der Wahrheit hält, die sich jedoch auch aufgrund des Bewusstseins des Betrachters für jeden anders erschließt. Ob es eine endgültige Wahrheit gibt?, mag man sich dabei fragen. Ob Götter sie kennen? Oder verbinden sich Wahrheit, Wissen, Meinung, Auffassung, Denkweise, Glaube, Überzeugung und Urteil jeweils immer wieder neu aufgrund einer individuellen Ereignisabfolge zwischen den Kontrahenten? Wer hat da den Überblick und ein letztendlich kompetentes Urteil? Maßen wir uns am Ende nicht viel zu viel an, wenn wir vorschnell Urteile, gar Verurteilungen über andere fällen, von deren Wirklichkeit wir zumeist nur einen winzigen Ausschnitt erlebt haben? Und wenn dieser kleine Ausschnitt schmerzhaft, unangenehm, böse war, reicht das aus, um sich eine schnelle Meinung zu bilden, die sich vorlaut, unmanierlich oder keck als Behauptung in die Welt stellt?

Je feiner man den Mechanismen der eigenen Meinungsbildung hinterher forscht, umso vorsichtiger wird man werden, wenn es darum geht, mal „eben schnell seine Meinung zu sagen“. Vor allen Dingen, wenn es zudem noch ungefragt passiert.

Hat man keinen Sensor für die Verantwortung, die mit einer kompetenten Meinungsbildung einher zu gehen hat, einer Meinung, die einmal echte Urteilskraft werden sollte, ist man nicht schlecht beraten, frühzeitig auf die oftmals leise warnenden Instanzen von Herz und Hirn zugleich zu hören, bevor man spricht.

— 12. November 2013
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