Die Gender- und Rassismus-Sünde des Mr. Kennedy!

Oder: Über die Schwierigkeit mit der politischen Korrektheit. Von Christa Schyboll

"Hallo, Mr. Kennedy! Sie sind ja nun schon einige Zeit im Himmel. Dennoch beobachten das politische Treiben weiterhin aus höherer Warte mit scharfem Auge."

"Ihnen wird dabei nicht entgangen sein, dass es nun leider noch eine alte Sünde zu sühnen gibt, die uns … ähm… ja, das ist peinlich, seinerzeit wohl durchgegangen ist. Ich bin beauftragt, mit Ihnen darüber zu verhandeln. Es braucht Ihre Einsicht und Ihre Umkehr in Sachen political correctness. Aber dazu brauche ich Ihre Genehmigung. In Sachen Copyright sind wir mittlerweile sehr vorsichtig geworden."

"Wie meinen?"

"Na, das Fettnäpfchen, in das Sie damals getreten sind. Damals bei Ihrem Berlin-Besuch! … 63, … Rathaus Schöneberg. Schon vergessen?"

"Hää?"

"Also damals haben Sie doch das Deutsche Volk so vortrefflich beglückt mit Ihrem Spruch "Ich bin ein Börliner".

"Ach so. Ach das. Na und?"

"So steht es aber jetzt auch in den Geschichtsbüchern. In allen."

"Das ist doch gut!"

"Mr. President, Sie unterschätzen die Stimmung in unserem Land. Also wie soll ich es Ihnen erklären. Wir stehen hier offenbar nun doch vor einem doppelten Problem: Einerseits scheinen Sie die Tragweite ihrer Rede nicht wirklich zu begreifen. Und andererseits stehen wir Deutschen nun sehr, sehr dumm mit diesem Satz nun da. Oder vernachlässigen Sie am Ende hier oben im Elysium die deutschen Nachrichten?"

"Wie, was?... Ich denke, der Satz hat euch glücklich gemacht. Der Satz ist doch korrekt. Mittlerweile historisch. Ich stehe dazu. Der darf in jedem Geschichtsbuch stehen."

"Eben nicht. Bis Ende 2012 ja. Jetzt aber nicht mehr. Wir schämen uns ein wenig für Sie. Sie beleidigen die deutschen Frauen. Auch die jüdischen deutschen Frauen und die behinderten deutschen Frauen türkischer Abstammung! Sie missachten sie. Sie ignorieren sie schlichtweg in ihrer historischen Rede! Als gäbe es sie gar nicht. Aber sie beleidigen auch unsere außereuropäischen Mitbewohnerinnen andersartiger genetischer Herkunft in besonderer Weise, die sich aber doch Berlin von Herzen zugehörig fühlen und unter uns leben."

"Hää?"

Mr. President… hm… ähmm... Mr. Ex-President, die Sache ist die. Wir Deutschen haben eine neue Kommission gegründet. Das war dringend notwendig und überfällig. Sie nimmt sich nun den rassistischen und Gender politischen Beleidigungen an, die bedeutende Menschen in der Vergangenheit ungestraft verbreiten durften. Wir haben nun dringend aufzuarbeiten. Sie wissen. Die beiden Kriege. Wir wollen keinen weiteren mehr. Die Welt soll wissen, dass wir sie lieben, wie sie ist. Und da ist Ihr ja doch etwas schnell und billig hin geschnoddertes "Ich bin ein Börliner" einfach nicht mehr zeitgemäß. Was glauben Sie denn, wie viele "Neger und Negerinnen ", "Schwarze", "Mohamedaner", "Schlitzaugen", "Gelbe" usw. wir aus all unseren Büchern bei einer Neuauflage zu streichen haben. Das geht in die Millionen. Aber die deutsche Geschichte hat dabei einen besonderen Rang. Wir sind der Nachwelt verpflichtet. "

"Verstehe ich Sie richtig? Sie streichen das ernsthaft alles nun raus? Sind Sie verrückt?"

"Wir sind Deutsche. Wir sind korrekt! Wir sind gründlich."

"Ja, und was hätte ich sonst damals in Schöneberg sagen sollen? Etwa: "Ich bin eine Börlinerin?"

"Um Himmelswillen! Das würde alle unsere Männer beleidigen! Und außerdem wäre es eine Lüge. Sie sind sie ja keine Frau. Oder ist uns da etwas entgangen?"

"Also dann: Ich bin ein "Börliner und eine Börlinerin"? Besser so?"

Mr. President. Nein, nicht wirklich, sie verkennen die Lage auf der Erde. Wir sind globalisiert. Wir sind multinational. Frei von jedem Rassismus. Das betrifft nicht nur die menschliche Spezies. Auch Pflanzen und Tiere sind unsere Brüder. Wir leiten ganze Autobahnstrecken um, wenn ein Storchenpaar folgenschweren Sex hatte und nun brütet. Wir unterlassen die Untertunnelung Münchens, wenn sich das erste Edelweiß zeigt. Wir sperren notfalls die Nordsee, wenn die Kegelroben schwanger sind. Nein, nein… das würde man Ihnen übel nehmen, wenn sie sich doch recht billig nur auf Berliner und Berlinerinnen beziehen würden. Immerhin haben wir auch eine Reihe Transsexueller. Und da können Sie sich nicht mit zwei Personen einer Spezies aufspielen.

"Gut. Nein, nicht gut, gaga, verrückt, deutsch, aber egal. Ich brauch meine Ruhe. Also jetzt auf die Schnelle. Wäre Ihnen dann hiermit nachträglich gedient: "Ich bin Börlin"? Gut so?"

"Also, Mr. President, das klingt nun wirklich sehr kalt und unpersönlich. So als wären Sie Mr. Kudamm oder so."

"Verflixt noch mal, Sie stören mich hier beim Zeitungslesen. Machen Sie selbst einen Vorschlag für ihre dämliche Kommission!"

Wie wäre es denn korrekter mit:

"Ihr lieben Geschöpfe! Ich will Ihnen aufrichtig sagen, dass ich … (kurze Atempause!) … kraft meines Präsidenten-Amtes, aus tiefem Herzen uneingeschränkt Börliner und Börlinerin bin - und zwar körperlich, seelisch oder geistig behindert, wie aber auch nicht behindert, christlich, jüdisch, moslemisch und überhaupt allseits religiös wie auch atheistisch, esoterisch, verheiratet, ledig, lesbisch und schwul, jung, alt, gefangen, vorbestraft oder frei, den börliner Zigeunern ebenso herzlich zugetan, wie auch den börliner Libanesen, Afghanen und versprengten Russen, die ich alle mitsamt allen hier noch vertretenen alten Kulturen und neuen Kulturen in allen Stadtteilen ausdrücklich einschließe, stellvertretend seien hier die Mayas und Inkas genannt, aber auch die Tibeter, Mulatten, Duisburger, Badenser und Norditaliener, farbigen Menschen, jedoch weder Neger, Nigger, Mohammedaner oder Schlitzaugen… (kurze Atempause und dann laut hingeschmettert!) … und mich darüber hinaus auch mit allen Pflanzen und Tieren in Berlin, Deutschland und der Welt zutiefst verbunden fühle, unabhängig davon, ob sie auf roten oder schwarzen Listen stehen.

"Ja. Gut. Schreiben Sie das so. Das scheint dann halbwegs alle jene zu umfassen, die ich mit meinen vier Worten 1963 meinte. Sie wissen ja, wir Amerikaner! Tztztz… Immer schnell und kurz. Zackzack! Quickie! Fragen Sie Bill. Auch bei Reden. Time is Money! Ah, noch eine kleine Streichung bitte!"

"Streichung? Ja, um Himmelswillen was denn? Dann ist es doch schon wieder unvollständig!"

"Nein, nicht wirklich. Börliner sind schlau. Die verstehen auch weisheitsvolle Kürze, solange sie nicht in deutsche Kommissionen berufen werden.!"

"Also, was wollen Sie denn jetzt streichen?"

"Schreiben Sie bitte in ihre neuen Geschichtsbücher, dass der Präsident des amerikanischen Volkes den Deutschen mit pathetischer Geste und aus patriotischem amerikanischem Freigeist heraus mit wohlklingendem Timbre in der Stimme bedeutungsvoll vor den Augen der Welt zurief:

ICH BIN!"

— 20. Januar 2013
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