Steuern und Moral

Empörung über was und wen und wozu überhaupt?, hinterfragt Christa Schyboll

Jagdsaison. Sie ist nicht nur ganzjährig, sondern auch langjährig. Es gibt überaus viel Wild in der Wildnis unserer Steueroasen, die zwar als illegal gelten und dennoch halblegal seit Jahrzehnten eine Duldung des Staates erfahren.

Die Bemühungen um die Eingrenzung dieser entarteten Wildpopulation, die auch Steuerflüchtling genannt wird, ist sachte, sachte…

Da jagt man doch lieber Hartz- IV-ler und schreibt fleißig darüber, wer wie schon wieder mit welchen Unsümmchen im Centbereich des Betruges am Gemeinwohl überführt wurde. Schweinerei!, all dieser Sozialbetrug an uns braven Steuerzahlern, die sich nun wirklich darum bemühen, auch die Ärmsten der Armen nicht wirklich arm sein zu lassen und auch den Begriff der Armut immer wieder neu anzupassen, damit wir uns unserer Armen nicht zu sehr schämen müssen.

Nun haben wir es mittlerweile aber mit zweierlei Wildpopulationen zu tun. Diejenigen, die nichts haben und vermutlich auch lange Zeit in diesem Zustand verharren werden, und die, die sehr viel haben, und es ebenso trefflich mehren, wie die anderen in ihrem Elend stagnieren. Es hat unmittelbar miteinander zu tun, auch wenn es nicht jedem gleich offensichtlich ins Auge springt. Es steckt ein Prinzip dahinter, das zu erklären hier aber der Raum nicht reicht.

Der einzelne Reiche, der sich häufig eben auch „kriminell“ (was durchaus nicht immer auch illegal sein muss) bereichert hat, tut einem ab einem gewissen öffentlichen Druck oftmals regelrecht leid, wenn er so durch die Pressehetze gehäckselt wird. Der Presse selbst geht’s zumeist nur drum, dass nur Bad News Good News sind und die Auflage vortrefflich steigern. Die so genannte öffentliche Meinung ist dabei als ein sehr schwankendes Gräslein im Wind zu orten, wenn es um die Bewertung krimineller Taten von „unten“ oder „oben“ geht, die auch die Un-Summen in beiden Richtungen betrifft. Nur weil ein Herr Hoeness viel für den Profi-Fußballsport getan hat, soll man ihm diesen „Fehler“ doch bitte verzeihen! Immerhin hat er ihn doch eingesehen! … Na bitte, dann sind wir moralisch ja schon fast durch dieses Dilemma durch. Da fehlt nur noch dieser lästige juristische letzte Spruch, um diesem fleißigen, bodenständigen, zielstrebigen Mann doch endlich einmal seine Ruhe zu gönnen und nicht so auf ihm rumzuhacken, als wäre er etwa ein Harzt-IV-Abzocker. Zumal er unbestritten auch viel Gutes tat und Fürsorglichkeit zeigte. Hat man solche guten Taten je in der Klasse der Armen erlebt?

Meinungsbilder, Pressebilder, Darstellungen, Interpretationen, Manipulationen und vieles andere mehr sorgen dafür, dass die „öffentliche Meinung“ immer wieder in merkwürdige Richtungen verkorkst, wenn es um Einzelfälle geht, die ein Gesicht bekommen. Den Staat zu bescheißen, wo es nur geht und möglichst nicht auffällt, so man über die Mechanismen und Möglichkeiten verfügt, ist doch nicht nur für einen Herrn Hoeness offenbar über sehr viele Jahre Usus, sondern für eine Unmenge von Mitmenschen, zu denen auch Politikern gehören, durchaus gang und gäbe. Ist also Hoeness allein das moralische Untier unter uns oder steckt es nicht sogar in den allermeisten Menschen drin, wenn sie nur Mittel und Wege hätten, Möglichkeiten und vor allem aber genug Geld, damit es sich lohnt?

Dazu kommt: Erfolgsverwöhnte, Reiche und Superreiche verlieren auch als so genannte Gutmenschen oftmals den Bezug zur Realität der Normalität, weil sie längst nicht mehr darin leben. Sie sehen dann mit bestem Gewissen auf ihre „guten Taten“ zurück, die sie allerdings doch nur mit dem Geld all der anderen Menschen tun konnten, von denen sie es „bekamen“ (nahmen oder unmäßig verdienten). Wie gewichten sich angesichts solcher Fakten denn die „guten Taten“ Superreicher noch gegenüber jenen, die auch mit fast leeren Händen noch geben? Natürlich besser als die unterbliebenen guten Taten anderer Superreichen, die nicht einmal ein Nanopartikel-Gespür für Gerechtigkeit und Relativität noch besitzen.

Wir haben moralisch darüber zwar nicht zu urteilen, aber sollten uns auch nicht für dumm verkaufen lassen, wenn uns gewisse Persönlichkeitsprofile vom Gutmenschentum medial verkauft werden, um die öffentliche Stimmung mal in diese, mal in jene Richtung zu beeinflussen.

Die Reichen und die Armen und ihre jeweiligen kleinen und großen Betrügereien werden wohl immer häufiger die Gazetten füllen, weil sie uns ja einen Spannungsbogen der Extreme versprechen - während der immer dünner werdende Mittelstand dafür sorgt, dass die Reichen ruhig noch viel reicher werden dürfen, während uns die Armen nicht wirklich verhungern und wir eine wichtige „Population“ weniger im Wald und Wildgebiet unserer Steuerspezies haben… Doch auch im Mittelstand gilt zu hinterfragen: Bei wem fliegen denn die Steine durchs Gashaus?

Moral wird hierbei zu einem sehr relativen Spielball, dem eine gut funktionierende Sprungfeder eingebaut wurde und die den Ball schnell zur einen oder anderen Seite hüpfen lässt, so lange man bloß die Dinge nicht genauer hinterfragt.

— 27. April 2013
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