Mütter – die Amazonen des Alltags

Posthum zum Muttertag. Von Christa Schyboll

Wir Mütter sollten uns davon freimachen, ständig Heldinnen sein zu wollen. Aber wir sollten dennoch stolz auf uns sein; mit vielen Narben mag so mancher von uns gezeichnet sein – aber vor allem haben wir unsere unvermeidbaren Lebensschlachten innerhalb unserer Familien tapfer geschlagen. Und das alles der Liebe und des Friedens willen.

Liebe Mutter,
mittlerweile bin ich selbst längst Mutter und eine sehr erfahrene dazu. Jetzt kann ich also – posthum – mit Dir und Deinen Erfahrungen mitreden und uns beiden zu einem bedeutsamen Tag, dem Muttertag, gratulieren. Bedeutsam jedoch in ganz anderer Weise, als wie ihn uns eine durchsichtige Muttertags-Konsumindustrie geschickt zu verkaufen versucht. Aber wir sind ja nicht blöd.

Uns Mütter degradiert sie dabei zu lächerlichen Empfangs-Marionetten, die vor Dankbarkeit für ein paar Blümchen ihrer Lieben dann zerfließen sollen. Sollen wir etwa unseren tatsächlichen Eigenwert dann am Ende aus dem Wert der materiellen Geschenke ableiten? Eine Blume je Kilo berechtigtem Zorn pro Jahr? Ein Stück feinste Schokolade für jede mütterlich-liebevolle Tröstung? Oder ein Collier für manch einen Frevel, den wir am Ende vor lauter Stress nicht einmal bemerkten?

Nein, liebe Mutter, ich verstehe das alles ganz anders: Ich gratuliere uns beiden und natürlich auch allen Müttern der Erde zum Kampf! Zum Kampf um die Liebe, um das Bessere, um die Qualitäten auf allen Ebenen. Und ich gratuliere uns weiter vor allem zu unserer Zähigkeit, trotz vieler verlorener Niederlagen dennoch in diesem Kampf um das Gute nicht nachzulassen.

Der Muttertag soll uns alle daran erinnern, wie tapfer die meisten Mütter doch in die ganz unvermeidlichen familiären Schlachten zogen und noch immer ziehen. Im Herzen nichts als nur friedenssüchtig. Allerdings die meisten von uns zu Beginn auch recht unwissend und ohne Arg, nicht selten naiv, aber für alle Fälle doch mit der Waffe von Liebe und Zuneigung bewehrt. Wir sind wahre Amazonen auf diesem Gebiet häuslicher Schlachten und unser Mythos ist unerreicht. Das sollten wir uns immer wieder neu bewusst machen.

Erinnern wir uns einmal: Früh begannen zum Beispiel auch unser beider Scharmützel und Gefechte. Tapfer zog ich mein Wort-Schwert gegen Deine faktische Übermacht, ohne sie wirklich brechen zu können. Ein ungleicher Kampf, wenn so ein maulendes Kind sich gegen eine willensstarke Mutter zu behaupten versucht. Letztlich saßest Du immer am längeren Hebel. Das fand ich ungerecht und unakzeptabel.

Wie ungleich es war, erfuhr ich erst in voller Wucht, als die eigenen Kinder gegen mich selbst den Aufstand zu gewissen Anlässen erprobten. Da lernte ich die andere Seite kennen. Und das war sehr gut, obschon es nicht schön war. Es war wichtig für die eigene Entwicklung und die der Kinder. Wo, wenn nicht dort, wo man geliebt wird, soll man denn kämpfen lernen? Insofern sind die vorübergehenden "Kampfarenen" innerhalb der Familie ein Hort einer wundersamen Schulung, was man in prekären Situationen allerdings nicht immer auch erkennen kann. Und das alles dient der Friedenserziehung, die nur aus dem Kraftmoment echter Souveränität heraus geschehen kann. Doch das kommt später, später wenn wir gereift sind und mehr Überblick über uns selbst und die Welt gewonnen haben.

Die Tricks der Brut

Kinder in ihrer wahren Potenz nur nach dem biologischen Alter allein zu beurteilen, wird nur wenigen Eltern einfallen. Solche Eltern müssten schon mit einer ordentlichen Portion Dumpfheit oder Erfahrungsarmut ummantelt sein. Starke, gesunde Kinderpersönlichkeiten, haben die Power von Streitkräften, die gefühlt zugleich Heer, Luftwaffe und Marine umfassen.

Die Bodentruppen von Wünschen, die die Kinder befehligen, sind für die profanen Dinge des Lebens gedacht und beziehen sich zumeist auf die rein physische Existenz materiell-existentieller Bedürfnisse, wenngleich nicht ganz ohne raffiniert inszenierten Eigennutz.

Waffentechnisch wird gerne im Kleinkindesalter dabei infernalisches Gebrüll eingesetzt, das die Mauern des heimischen Jericho erzittern lässt. Hunger, Durst, frische Windeln, … später frische Puppen, frische Spielzeug-Autos, fabrikneue CDs und PCs. Noch später Mofa, Führerschein, Karten fürs Rockkonzert. Alles neu, unverzichtbar, überlebensnotwendig… Es läuft noch immer unter dem Begriff "existenziell notwendig". Und wir Mütter haben dafür zu sorgen, dass es wie durch Zauberhand irgendwie auch geschieht. Vom Kampfplatz Pubertät will ich erst gar nicht anfangen… Aber wer es durchgemacht hat, weiß um diese ganz besondere Zeit. Und wer noch davorsteht, dem sei gesagt: Sei stark! Man kann es sogar gemeinsam gesund überleben, obschon man daran in mancher Sekunde zweifelt!

Selbstverständlich verweigern wir Mütter uns allem Unnötigen, Übertriebenen, Überteuerten, neuen Spleens. Das halten wir auch tapfer eine Zeitlang durch. Irgendwann aber bricht auch unser Nervensystem zusammen und wir plündern den Geldbeutel. Nein, nicht für uns selbst, sondern unsere trickreichen Nachgeborenen. Trotzdem wollen wir keine Konsum-Monster heranziehen, die uns später für unsere Weichheit verachten. Deshalb immer wieder der Kampf, wo ein lautes klares Nein durchaus als Ja, oder Ja aber oder Wir-müssen-mal-Schauen frech interpretiert wird. Dabei waren wir doch so klar in der Ansage.

Aber damit beginnt dann auch der Kampf der Bodenstreitkräfte. Wie verzweifelt war ich, als dies in aller Öffentlichkeit geschah, so mit 2 bis 4 Jahren, als der kleine Kämpfer sich wütend durch die Gänge der Kaufhäuser schmiss, wenn dieses Nein ertönte.

Die Bescheidenheit früherer Zeiten

Die Luftstreitkräfte steigen mit ein, wenn es sich um Wünsche handelt, die wahre Luftschlösser sind. Da wird vieles durchgewirbelt und mancher Orkan braust mächtig durch die familiären Niederungen angesichts weiterer Absagen. Ach, wie viele dieser Luftschlosswünsche hatte ich selbst auch. Und alle nahm ich so ernst, als ginge es um mein Leben. Doch ich blieb ein hoffnungslos unverstandenes Kind.

Doch damals waren Wünsche und Forderungen noch von sanfterer, bescheidener Art. Dennoch mussten wir streiten. Über dies und das und jenes. Heute sind mir all diese Einzelheiten entfallen. Dabei ging es aber nicht immer nur um Wünsche, sondern auch und vor allem um Verweigerungen meinerseits. Da war ein ungeheurer Druck in mir, mich – koste es, was es wolle, mich vor ganz bestimmten Aufgaben drücken zu müssen. Es war so stark, dass selbst Magen und Darm spontan reagierten und ihren Tribut zollten. Denn was da von mir verlangt wurde, war eine absolute Zumutung. Ich sollte spülen, helfen, irgendwas, obschon doch mein Inneres extrem wichtige andere Pläne hatten. Solche, die auf gar keinen Fall einen Aufschub vertrugen. Ich war sozusagen dazu gezwungen, mich leider drücken zu müssen, weil mein weiteres Sein davon abhing. Das glaubte ich wirklich. Aber ich war gewiss nicht die einzige in der Familie, wo dieses Freiheits-Gen zu heftigem Streit führte. Mein Gott, was hast Du da mit Deinen Töchtern mitgemacht. Und wie sehr verstehe ich meine Kinder heute, die mir ebenfalls niemals dann helfen wollen, wenn ich sie brauche. Trotzdem müssen sie ran. (Sofern ich das umsetzungstechnisch schaffe.) Diese schrecklichen Szenen, liebe Mutter, sind mir noch stark in Erinnerung. Und auch, dass es dabei nur um Alltäglichkeiten ging, die aber jedesmal zum Sonderfall der Unzumutbarkeit meinereits erklärt wurden.

Immer musste ich innerlich auch auf der Hut sein, dass Du mir am Ende mit all deinen Absagen oder Argumenten, die ich nicht einsah, keine lebensweisenden Träume zerstörst. Als zukünftige kreative Gestalterin meines Seins war es wichtig, mich früh von Dir abzugrenzen. Doch das geschah nicht ohne dicke Tränen. Manchmal wähnte ich mich bei der Marine. Denn die schwere See, aufgewühlt dank meines stark fließenden Augenwassers , durch die ich mich zu kämpfen hatte, konntest du nicht beruhigen. Nicht immer warst du für mich erreichbar. Nicht immer suchten mich später leider auch die eigenen Kinder auf. Manchmal kommt es einfach nicht zusammen. Auch das müssen Kinder und Mütter ertragen lernen. Liebe hin oder her. Diese vielen tausend Abnabelungen im ganz normalen Alltag sind eine Fortsetzung des Geburtsprozesses mit anderen Mitteln.

Die Zwickmühle der Männer

Und der Mann, der Vater? – Für ihn ist es nicht selten auch einer der merkwürdigsten Tage, dieser Muttertag – der einerseits die eigene Mutter betrifft, andererseits aber auch die Gattin, sofern man gemeinsame Kinder hat, mit denen dieser Tag zu gestalten ist. Der merkantiler Input, der auch und vor allem für die Männer schnell zu einem Konsum- oder Geschenkezwang zu werden droht, wo Erwartungshaltungen geschürt werden, hinterlässt zu Recht auch bei ihnen ein Gefühl der Unsicherheit, dass er sich nicht so recht zu hinterfragen getraut.

Dankbar hat er zu sein, nur weil seine Mutter seine Mutter ist? Ist das wirklich so? Hier könnten sich nun ganz andere Impressionen anschließen, die eine komplizierte Gemengelage karmischer und genetischer Verstrickungen bergen könnte. Doch das ist letztlich auch alles Spekulation, die uns nicht wirklich weiterbringt. Was uns weiterbringt, ist Klarsicht über den Status quo und den Weg, den man gehen will, weil man seinen Sinn errungen hat. Hat man das noch nicht, sollten ein paar Hausaufgaben nachgeholt werden.

Der Erwartungsdruck, der auf Ehemänner, Söhne, Töchter, Kinder allgemein, durch mediale Hirnwäsche künstlich erzeugt wird, sollte in den Gulli der Beliebigkeit entsorgt werden.

Wir Frauen und Mütter (Väter gern inbegriffen!) sollten uns davon freimachen, ständig Heldinnen sein zu wollen. Aber wir sollten dennoch stolz auf uns sein; mit vielen Narben mag so mancher von uns gezeichnet sein – aber vor allem haben wir unsere unvermeidbaren Lebensschlachten innerhalb unserer Familien tapfer geschlagen. Und das alles der Liebe und des Friedens willen. Also einem Zustand der Glückseligkeit, der zwar niemals dauerhaft erreicht wird, den aber anzustreben uns ins Blut geschrieben ist. Ihm zu folgen ist sinnvoll. Ihn zu erwarten oder meinen erzwingen zu können: naiv.

Muttertag, liebe Mutter, machen wir jetzt einfach einmal zum Tag der Wahrheit. Wir Mütter sollten uns nichts vormachen lassen. Sollen sie uns doch alle ehren und danken! Davon kann man eh nicht genug bekommen. Und verwöhnt an diesen Dingen sind wohl die wenigsten von uns. Aber wir sollten uns hüten, uns dabei selbst etwas vorzumachen und klebrig-süß jene wesentlichen Dinge verniedlichen, die knallhart angesprochen werden müssen.

Muttertag sollte eine klare Ansage sein: "Hier stehe ich und kann (will) nicht anders!" Hier steht die Frau zugleich ihren Mann, mit all ihren Fehlern, all ihrem Zorn, ihrem uralten Wissen und neuen kleinen Dummheiten. Vor allem aber mit all ihrer Liebe…

Was bleibt sind die kleinen Freuden, die kleinen Fortschritte, die schönen Momente, die aneinandergereiht ein Perlengeschmeide wunderbarer Erinnerungen werden können, wenn man selbst auch genug dafür tut.

Ach ja, bevor ich es vergesse: Danke! Für alles, was Du gegeben hast…

— 30. April 2018
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