Rollstuhl contra Fahrrad

Ein unfairer Kampf! meint Christa Schyboll

Meine Mutter sitzt im Rollstuhl. Eine nette alte Dame, die gern an die frische Luft möchte und Vögel, Blumen und die Natur genießt. Wir fahren regelmäßig und sind auf Wege bedacht, die rollstuhlgerecht glatt sind und all die Attribute aufweisen, die man eben mit frischer Luft, Vögel, Blumen und Natur verbindet.

Diese Wege in der Natur werden aber auch von den Fahrradfahrern geliebt. Fahrrad fahren ist gesund, stärkt Herz und Kreislauf und von den Krankenkassen als Ausgleichssport empfohlen. Ich bin nun beides und fühle mich zwischen den Lagern zerrieben: Rollstuhl-Schieberin und Fahrradfahrerin. Fahre ich Fahrrad, ist merkwürdiger Weise kein Rollstuhlfahrer je zu sehen. Schiebe ich aber den Rollstuhl, fühle ich mich umlungert und verfolgt. Es gibt Tage, da bin ich für Verschwörungstheorien sehr offen und frage mich nur, woher die Verschwörer wussten, dass ich gerade an jenem Tag mal wieder Mutter in die Natur fahre.

Käme es hier nur zu fahrtechnischen Begegnungen, wäre das ganze keine Zeile wert. Nein, es kommt schon fast einem nervlichen Harakiri gleich. Verrückt, es überhaupt versucht zu haben. Denn sobald die Sonne scheint und die Wege wieder abgetrocknet sind, kommen sie wie Ratten aus den Löchern. Mit Kind und Kegel, hinterher hechelnden oder voraus rennenden Hunden, die noch nie etwas von Leinen gehört haben. Hupend, rufend, drängelnd auf dem zugegeben schmalen Weg, der so wunderschön ist und mitten durch die Natur führt.

Nach 15 Minuten ist Abbruch angesagt. Die Nerven liegen blank, die Mutter stöhnt nur noch auf, die Radfahrer, die eine saftige Beschimpfung verdient hätten, sind über alle Berge. Dabei kann ich mich zugleich in ihre Lage versetzen. Auf eine Wegbreite, die eben nur knapp zwei Radfahrer von vorne und hinten aneinander vorbei lässt, klappt das mit den Rollstuhlfahrern nicht. Irgendeiner muss ständig stoppen, gar absteigen, weil Räder bei Stillstand das zumeist verlangen. Ich wiederum drücke mich in Schlehenbüsche oder Brennnessel, verbrenne mir die Hacken, überlasse mich Ameisen oder Fliegenschwärmen und Spinnennetzen, nur um nicht unter die Räder zu kommen.

Und Mutter? Sie schüttelt den Kopf. So etwas gab es früher nicht. Und all die alten Menschen, die da noch auf den Rädern sitzen, statt im Rollstuhl, wie sie. Gehören die überhaupt noch da drauf? Ja. Aber bitte zu anderen Zeiten. Oder sollte ich, da Mutter eh Schlafstörungen hat, demnächst um Mitternacht mit ihr spazieren gehen?

— 12. Juli 2012
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