Zerstreutheiten und Ausstreuungen

Vom Geheimnis der Ordnung. Christa Schyboll

Die Orte, die ich jetzt nennen könnte, sind im Grunde beliebig. Häufig jedoch sind es Schlafzimmer und Bad. In den krassen Fällen schleppt es sich durchs ganze Haus oder durch die Wohnung bis hin zur Eingangstür.

Es geht um Dinge, die nicht da hingehören. Dazu auch sehr intime Dinge und sehr schmutzige. Oft so schmutzig, dass man sie nicht einmal anfassen möchte. Kleidungstücke! Ob dreckige Socken oder verschwitzte Trainingsklamotten, feine Dessous, die aber auch hin und wieder nach einer Wäsche schreien oder Pullover, T-Shirts, Schuhe und vor allem Jeans, in denen so wertvolle und unverzichtbare Accessoires wie Schlüssel, Handy oder Ausweis stecken. Bereit, den nächsten Schleudertest bei 60 Grad zu testen!

Sie liegen herum. Sie liegen am falschen Platz. Und sie liegen ständig an einem anderen Platz. Nur liegen oder hängen sie nicht da, wo sie hingehören. Zum Beispiel in den Kleiderschrank. Der Eigentümer der Bekleidung weiß natürlich darum, dass der Platz, an dem er sie wie in Trance fallen lässt, der falsche ist. Nur dieses Wissen nützt ihm ja nichts, da er es vollständig ausblendet, als sei er vollständig hirnbehindert. Nicht selten passiert dies auch den Oberschlauen, die man mit der Metapher des „zerstreuten Professors“ bedenkt, unabhängig davon, ob das Abitur demnächst in den Sand gesetzt wird oder der Ausbildungsabschluss wackelt.

Wer nun glaubt, jener Spezies der Zerstreutheit mit warmen oder drohenden Worten nahe zu kommen, zeigt nur eines: Er kennt eine solche Situation nicht wirklich. Jedenfalls nicht mit Hardlinern, die neben dem Verstand nämlich auch das Gehör ausschalten. Sobald die mahnende Stimme eine gewisse helle Frequenz erreicht, die in Richtung Hysterie abzugleiten droht, gehen die Ohren zu. Eine vollständige Taubheit erfasst den Zerstreuer und Zerstreuten und er ist nicht mehr von dieser Welt. Seine Welt ist eine völlig andere. Eine, wo Ordnung halten zum Sakrileg mutiert. Ordnung ist zwar durchaus etwas feines, wenn man sich darauf verlassen kann, dass die Jeans, die man gerade braucht, auch dort zu finden ist, wo man sie vermutet… Aber bitte doch nicht so, als dass man dafür selbst Sorge zu tragen hätte!

Dieses Verhalten hört bei vielen Menschen jenseits der Pubertät keinesfalls auf. Sondern je nach Erziehungsmaßnahme verstärkt es sich immer weiter und wird zu einer lebenslänglichen Problemzone, ähnlich dem Hüftgold, das man ab 25 kaum noch los wird. Schuld sind die Erzieher. Früher waren es überwiegend die eigenen Mütter, heute können es viele Personen sein. Aber die Erzieher sind es immer! So lange sie auch nur eine einzige Socke aufheben und waschen, die zwischen Flur und Bad liegt, solange auch nur eine einzige Jacke aufgehoben wird, die zwischen Haustür und Küche auf dem Boden liegt, ist alles umsonst.

Dabei ist das Rezept oft einfach wie wirkungsvoll: Man muss selbst noch schlimmer sein. So schlimm, dass das Kind sich schämt. Man sollte selbst so in die Übertreibung der Unordnung abgleiten, bis dem Kind oder dem Jugendlichen, dem Gattin oder dem werten Gatten endlich die Hutschnur platzt und er eine Messietherapie leise bereits in Erwägung zieht. Dann steigt die Chance, im eigenen Clan zu der Ordnung zu kommen, die man schon immer ersehnte, massiv.

— 18. Oktober 2011
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