Ostern - Fest der Erlösung

Auftakt zu einer schweren Schlacht, meint Christa Schyboll

Das höchste christliche Fest ist Ostern. Es gipfelt in Auferstehung und Erlösung... Erlösung von was? Von der Erbsünde, der Urschuld. Man kann daran glauben oder nicht; gewiss ist jedoch, dass wir als Menschen immer wieder im Leben in irgendeiner Weise an irgendwem oder was schuldig werden. Das heißt: Wir begehen absichtliche und unabsichtliche Fehler, schädigen die Natur, unseren Körper oder einen Dritten und sind zu manch einem eher feindlich als freundlich gesinnt.

Die Liste möglicher menschlicher Fehlleistungen wäre zu lang, um sie hier aufzuführen. "Erlöst" werden sollen wir von dieser Schuld durch das Leiden Christi und seine Auferstehung. So die Lesart vieler Gläubige.

Ich glaube etwas anders. Ich glaube (mangels nachweisbarem Wissen, das es darüber nicht gibt und geben kann), dass der Mensch in der Verantwortung steht, sich von all seinen Anteilen, die ihn in irgendeiner Weise immer wieder neu schuldig werden lassen, sich nach und nach trennen (vor allem also auch selbst erlösen!) muss - indem er sie unterlässt - oder verlässt, einfach nicht mehr tut. Indem er volle Verantwortung für sich und sein Tun übernimmt. In Gedanken, Gefühlen, Worten und Taten. Das braucht Einsicht in die eigenen Schwächen und den festen und tief verankerten Willen, es immer wieder neu zu probieren.

Uns allen sind vielfache Schwächen "gegeben" - quasi wie ins Blut gestempelt. Bei dem einen mag es stärker und unheilvoller sein, beim anderen Mitmenschen seltener und harmloser. Als "erlöst" (frei von Sünden) wird sich kaum ein auf Erden wandelnder Mensch schon erleben. Und wenn doch, dann zum Zeichen, dass es möglich ist. auch zu Lebzeiten schon ein Heiliger zu sein. Einer der heil ist, gesund an Körper, Seele und Geist. Das braucht neben dem klaren Blick auf die eigenen Schwächen aber auch den Blick auf die noch vielfach schlummernden Stärken, die erwachen und sich mutig und kraftvoll zeigen möchten. Sie zu aktivieren sind wir aufgerufen. Ein jeder auf seine Weise.

Wird einmal eine Zeit kommen, wo mehr und mehr Menschen sich dazu inspirieren, ja mit dem Virus der Nächstenliebe anstecken, wird erst eine richtige Zeitenwende kommen, die eine andere ist, wie die jetzige. Die jetzige Zeitenwende ist vermutlich notwendige wie ungeliebte Vorbereitung. Denn wir (der reichere Teil der Menschheit) werden weltweit vom überbordenden Konsum Abschied nehmen müssen. Sei es aus ökologischen, sei es aus ökonomischen Gründen, sei es aus Gründen einer Restvernunft, die jedem klarmachen dürfte: Wachstum ist endlich, bevor es platzt! Und wir sehr wir mit allem kurz vor dem Zerbersten stehen, erleben wir seit einigen Wochen.

Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!

Die Botschaft - nicht nur zu Ostern. Wer liebt sich selbst auf eine solche Weise, dass aus dieser Liebe die Kraft zur Nächstenliebe entsteht? Sich selbst zu lieben ist fern von jeder Eitelkeit und jedem Egoismus. Das müsste als Basis für dieses Ansinnen klar sein. Und schon bricht die herkömmliche "Nächstenliebe" zusammen und ist eine ganz andere... eine, die plötzlich nicht mehr mit jener Leichtigkeit daherkommt, wie dieser Satz suggeriert.

Wie viele Menschen hadern an sich, haben Probleme mit sich, ihrer Psyche, ihrem Aussehen, ihrem Selbstwertgefühl und vielen anderen ganz persönlichen Sorgen ihres Lebens. Lieben sie sich so, dass sie eine reine Form von Liebe auf andere übertragen können? Meist nicht; die Grundlage der Selbstliebe fehlt eben noch. Es ist also schwierig, diesem schlichten Satz, dieser scheinbar so eindeutigen Botschaft auch nachhaltig und dauerhaft starkes Leben einzuhauchen... Das zeigt wo wir stehen: unten, ziemlich tief unten auf der Werteskala der Evolution des Geistes.

Das Kollektiv der Menschheit steht immer noch mit beiden Füssen in der Barbarei. Und dort, wo wir selbst persönlich keinesfalls barbarisch sind, können wir sie dennoch nicht verhindern. Wir fühlen uns in all dem so schrecklich ohnmächtig, weil Dinge passieren, die wir (noch) nicht aufhalten können.

Zu oder um Ostern ist eine entscheidende große Schlacht im Donbass geplant. Da wird nicht geliebt, sondern da wird getötet. Wenn man Pech hat, dauert das individuelle Sterben lange... für so manch einen Menschen da, welchen Glauben er auch immer hat, ist es eine ganz persönliche "Kreuzigung" vor dem Sterben - je nachdem wie es ihn erwischt.

Die Osterbotschaft der Erlösung und der Liebe - wie krass steht sie zur Wirklichkeit an den vielen brennenden Ecken unserer martialisch aufgerüsteten Welt, die sich nicht einmal mehr im Ansatz vertraut.

Und trotzdem wird Ostern gefeiert: Weil wir es nötiger haben denn je und einsehen müssen, dass wir seit dieser Botschaft letztlich kaum vorangekommen sind.

Bis Erlösung - in welchem Sinne auch immer - geschieht, werden noch viele Schlachten geschlagen werden müssen. Ob wir wollen oder nicht: Wir kommen nicht daran vorbei. Und schaffen wir es irgendwann einmal, die "großen" Schlachten auf den Kontinenten der Welt unter den Völkern tatsächlich zu beenden, wird spätestens die Schlacht im eigenen Innern bei jedem Einzelnen stattfinden müssen, bevor es da auch zum inneren Frieden kommt, der dann den äußeren Frieden ganz leicht zu bewahren weiß.

— 15. April 2022
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