Zwischen allen Stühlen

Gedanken über das Lagerdenken – von Christa Schyboll

Manche Mitbürger haben es echt gut. Sie wissen was sie wollen. Sie wissen es so genau und auf den Punkt, dass sie ihre soziale oder politische Heimat untrüglich schnell finden. Diese oder jene Partei, Verein, Institution darf es sein - und das aus vollem Herzen. Die gegenteilige Gesinnung hinterlässt Krämpfe in Synapsen und Darm.

Die Welt ist geordnet in richtig und falsch, gut und böse, schwarz und weiß. Man ist nicht blöd und weiß natürlich, dass es Grauzonen gibt und die ganz Schlauen werden sogar das Bunte dazwischen orten. Aber es stört nicht weiter, weil das eigene Lager klar ist. Und selbstverständlich…. Weiß! Also man gehört zu den Guten. Die Schlechten, die falsch denken, sind generell die anderen.

Die anderen sehen es genau so. Bis auf eine winzige Kleinigkeit. Sie sind die mit der weißen, der guten Farbe. Ansonsten ist das Muster das gleiche. Man weiß um das Grau dazwischen, bekennt sich zu weiß und weist die Gegner in die Zone der Dunkelheit des beständigen Irrens.

Soweit das Lagerdenken.

Spannend wird es für alle die, die zwischen diesen Stühlen sitzen. Sie sind nicht Fleisch noch Fisch. Sie sind auch kein Gemüse, gar ein Pilz. Sie sind undefinierbar. Und damit sind sie auch unerhört, unbequem, unberechenbar, ungeliebt, verdächtig, verstockt und unerquicklich. Aber sie wuseln und leben in diesem Nichtraum der beiden Lager und piesacken beide, als ob jene nicht schon mit sich selbst genug hätten. Manchmal kommt es so arg, dass sich die beiden großen Lager gegen jene Aufmümpfigen verbünden. Doch die Regel ist die Schlacht dazwischen.

Dabei fehlt den Zwischen-allen-Stühlen-Sitzenden nicht etwa die richtige Perspektive oder die nötige Angepassstheit, sondern es fehlt ihnen an Macht und Möglichkeiten, ihre ganz anderen, dritten Visionen durchzusetzen. Hätten sie diese, wäre dann jedoch erst unter Beweis zu stellen, dass diese neu erworbene Macht nicht wieder missbraucht wird, sondern zu einem Instrument kluger Führung. Doch das Schicksal hat eine eingebaute Rotation, wonach ein jedes Ereignis oder Person und Ding seinen Start, seinen Aufbau, sein Hochziel und seinen Abgang bekommt. Die Geschichte weist es uns millionenfach nach, sowohl in der menschlichen Biographie wie auch der großen Kulturepochen. Danach wäre es also nur eine Frage der Zeit, wann die „zwischen allen Stühlen Sitzenden“ die eine oder andere Seite entern und selbst deren Platz einnehmen. Historisch wurde dies in gelungenen und dennoch nur vorübergehenden Revolutionen vollzogen.

Zwischen allen Stühlen zu sitzen, ist keine lustige Position, wenn man selbst davon betroffen ist. Aber sie hat den Vorteil, dass man nicht am Erreichten ängstlich klammern muss, sondern zur Gruppe der Gipfelstürmer gehört, die noch nichts zu verlieren haben. Übertragen auf die private Situation könnte man auch sagen: Ein Zuchtbecken der Mutigen --- bevor sie sich nach errungenen Siegen dann auch wieder zur Ruhe setzen, um der unvermeidlichen Rotation den Weg zu ebnen.

— 09. Dezember 2010
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