Zwischen Pflicht und Null-Bock-Momenten

Über Drückeberger und ihre Raffinessen schreibt Christa Schyboll

Ich gehe mal gelassen davon aus, dass es jeder in sich trägt: Den Hang, ja manchmal auch zwanghaften Drang zur Drückebergerei, wenn einem eine höchst ungeliebte Aufgabe oder Pflicht aufgetragen ist.

Oft begegnen wir ihr schon im Vorfeld mit einer entsprechenden Mimik. Mit Augenrollen zum Beispiel. Oder das Verziehen der Mundwinkel ins absolut Verächtliche! Vielleicht schimpfen, gar fluchen wir? Was wird mir da schon wieder zugemutet! Oh Gott, das ist doch großer Mist… Nein, schlimmer ist's.

Wie kann ich mich davor drücken?

Und wenn das geklärt ist, schleicht sich die bange Frage heran: Wann holt mich das Versäumnis wieder ein? Morgen, nächste Woche, nächstes Jahr? Oder komme ich völlig ungeschoren davon, wenn ich es nur raffiniert genug anstelle? Es auf jemand anderen abwälze? Am liebsten auf jemandem, dem das überhaupt nichts ausmacht? Dann brauche ich nicht einmal ein schlechtes Gewissen zu haben.

Doch, es gibt sie, diese Glücksfälle des Lebens, wo ein anderer in genau unsere Bresche springt, für die wir nicht einmal Anlauf nehmen. Und noch glücklicher ist dieser Zufall – der uns wie vom Himmel "zufällt" -, wenn derjenige es sogar noch freiwillig und gern tut – einfach, weil er anders ist als man selbst.

Ich habe eine spezielle Drückebergerei schon als Kind erübt, ja trainiert. Im Kleinen. In gewissen Haushaltspflichten, die ich hasste. Das ehrt mich nicht, ist aber ein Teil meiner Lebenswahrheit. Und nur weil ich andere Wahrheiten daneben stellen kann, ertrage ich diese ehemalige Unart an mir, auf die man jedoch nicht stolz sein kann. Denn oftmals geht es zu Lasten anderer Menschen, die eben nicht freiwillig und gern einspringen, sondern quasi vom Drückeberger dazu genötigt werden, weil er in diesem Augenblick der mental Stärkere ist. Wie immer er es auch gedreht und angestellt hat.

Der Drückeberger hat im Falle des Erfolges etwas von einem Schlauberger. Gleichzeitig hat er so viele negative Eigenschaften im Gepäck, dass das "schlaue" durch un- oder amoralisches Verhalten schon wieder überlagert ist. So kann er sich aus Bequemlichkeit ebenso drücken, wie auch aus Faulheit oder aus Feigheit. Es kommt eben auf die Situation oder das Ereignis an. Auf jeden Fall macht er sich "auf und davon" – auch dann, wenn er im gleichen Raum verbleibt. Das können Drückeberger nämlich ganz hervorragend. Sie können Krankheiten vorschieben oder Unpässlichkeit, Terminvorgaben und andere Verpflichtungen. Die Palette der Ausreden ist immens breit gefächert, wenn man nur ein bisschen seine Fantasie ins Negative abgleiten lässt. Fündig wird man immer, wenn man sich dem Verwerflichen öffnet. Denn der Schöpfer bedachte seine Lieblingsspezies mit der Möglichkeit der Mogelei in vielen Facetten.

Handelt es sich um Fahnenflucht, Gehorsamsverweigerung oder Hochverrat, kann Drückebergerei auch zur sinnvollen Tat, im Einzelfall gar zur Heldentat werden. Je nachdem, wie die Lage ist… Beispielsweise Kriegsdienstverweigerung. Ich würde es nicht in jedem Fall unter Drückebergerei verorten wollen, obschon es auch Fälle gibt, wo es genau das ist. In anderen Fällen kann es aber auch tiefe moralische Überzeugung sein, weshalb im Einzelfall dann die gleiche Handlung dann diametral zu bewerten ist. Solche Fälle sind übrigens immer besonders spannend, wenn das scheinbar gleiche Tun im Außen oder in der Tat zugleich das Gegenteil voneinander ist oder sein kann.

Nicht mit Kants Pflichtbegriff möchte ich jetzt hier operieren, sondern lieber mit dem Begriff der moralischen Fantasie, die es schafft, dass man möglichst auf jede unsinnige Drückebergerei ganz frei(und)willig verzichtet, wenn und weil man erkennt, wann es wichtig ist, dass man selbst bestimmte Dinge tun muss. Einfach nur: weil es richtig ist.

— 13. Juni 2022
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