Volksbefragungen

Hand aufs Herz: Wer ist kompetent?, hinterfragt Christa Schyboll

Ich würde mich über Volksbefragungen sehr freuen. Dann hätte ich endlich mehr Stimme an entscheidender Stelle in der Sache selbst. Die Abstimmung über die Parteien ist deshalb so oft ärgerlich, weil wir wissen, wie sie alle dem Fraktionszwang unterstehen und in der Regel nicht frei sind.

Und wenn man eine Partei wählt - egal welche - wählt man ja alles in dieser Partei. Auch das, wo man völlig gegenteiliger Meinung ist. Parteien sind ja auch nur Kompromisse. Da wäre eine Volksbefragung zu wichtigen Themen schon sinnvoll.

Doch Stopp! Bei aller Liebe kommen mir auch Bedenken. Sie betreffen die Kompetenz. Ich selbst traue zwar der Politik auch keine umfassende Kompetenz in vielen Dingen zu, weil ich weiß, dass auch die Politiker alle einer sachlichen Beschränktheit von Wissen naturgemäß unterliegen müssen. Dann ziehen sie Berater heran. Aber sind die Berater eben nicht oftmals genau jene Lobbyisten, die unseren Politikern wohlfeil einflüstern, warum sie für dieses und jenes stimmen sollen? Durchaus mit größeren Geschenken an Parteien. Erlaubten wie unerlaubten oder ganz anderen "guten Taten", die man in finanziell klammen Zeiten gut brauchen kann. Unsere Politiker sind bestechlich? Natürlich sind das viele… und zwar weltweit, weil eine gewisse Form von Bestechlichkeit einfach nur menschlich ist. Damit ist sie aber nicht gut oder etwa sanktioniert. Und selbstverständlich betrifft es nicht alle Politiker schlechthin. Doch wie hoch der Prozentsatz der Aufrichtigen ist, die wirklich ihren idealistischen und dennoch realistischen Zielen in fester Treue verschworen sind, kann niemand sagen.

Und das Volk ist nicht anders. Hätten oder bekommen wir eine Volksbefragung, wird es ähnlich laufen. Nur eben im großen Stil, statt im kleinen politischen Rahmen. Auch das Volk ist bestechlich, genauso wie seine Politiker - was ebenfalls nicht ausschließt, dass auch im Volk wiederum Aufrichtige sind, die man nicht leicht korrumpieren kann. Hätte das Volk einen durch und durch gesunden und klaren Menschenverstand und einen gesunden Instinkt für Gefahren, wäre ja schon alles prima. Aber der ist genauso wenig garantiert wie in der Politikerklasse.

Massenmedien haben eine ungeheure Macht, Meinungen zu manipulieren. Gerade in den letzten Jahren ist dies an vielen Beispielen überaus deutlich geworden. Wenn man gewisse Themen nur tüchtig genug moralisch verunglimpft oder gewisse neuralgische Ängste schürt, tut es nach wenigen Tagen, erst recht nach Wochen oder Monaten seine Wirkung. Die Stimmung kippt in eine andere Richtung. Volksbefragungen bieten ein hervorragendes Terrain für Massenexperimente und Manipulationen. Wie viele hier schon in den Startlöchern stehen, um dieses Massenexperiment genauestens in seiner Wirkung und Beeinflussungsmöglichkeit zu verfolgen, ist mir nicht bekannt. Aber ich schätze diese Chance hoch ein.

Dennoch bin ich für Volksbefragungen. Vielleicht ist die Volkes Meinung doch deutlicher als ich fürchte und das Volk zäher als ich mutmaße. Das Volk braucht seine Chancen, die ihm die Politikerkaste auch deshalb gern vorenthält, weil es eine kleine Teil-Entmachtung wäre - auch wenn man das so vor der Kamera nicht bestätigen mag.

Parteien, die sich klar für Volksbefragungen aussprechen, dürften in Zukunft Stimmenzuwachs haben. Im Volk emanzipiert sich einiges, das nach Verantwortung und Mitbestimmung in positiver Weise drängt. Auf den Prozess mit offenem Ausgang darf man jedoch gespannt sein. Versuche, die trotz aller Gefahren gestartet werden sollten…

— 05. April 2012
 Top