Privatsphäre

Ich selbst bin ein Opfer des Geheimdienstes!. Von Christa Schyboll

Lange Zeit wollte ich es nicht wahrhaben. Dann konnte ich meine Augen nicht weiter davor verschließen: Ich selbst bin auch ein Opfer des Geheimdienstes. Die Veröffentlichungen der letzten Wochen brachten mir letzte Sicherheiten zu meinem bösen, schon länger schwärenden Verdacht. Ich lebe inmitten eines Komplotts.

Es begann mit den Emails. Nichts klappte. Manche kamen nie an. Manche gingen nie raus. Dann kamen welche doppelt oder spät an. Oder es waren Fehlleitungen, die keiner nachvollziehen konnte. Jedes Mal suchte ich die Schuld bei mir. Ich bin mir treuer Freund in Sachen Innenfeind. Generell suche ich zunächst im engsten Umkreis. Sprich: In meinen Gedanken und Gefühlen, in meinen Schwächen, mangelnden Talenten und einer partiell auftretenden Tölpelhaftigkeit in Bezug auf Technik. Aber ich wurde nicht wirklich fündig. Das beunruhigte mich sehr.

Dann die Sache mit dem Telefon. Sonst klingelte es immer. Jetzt rief keiner mehr an. Das konnte doch gar nicht sein! Wieso rief denn keiner mehr an! Das passte einfach nicht zu meinem Leben. Rief aber doch jemand an, hörte ich Knacken in der Leitung. Ah, die Jungs vom NSA. Aber das wusste ich damals noch nicht und vermutete völlig falsch den BND. Aber der ist unschuldig. Er hält sich an Recht und Gesetz. Das hat die Kanzlerin versprochen. Oder war’s die Opposition? Na egal! Der BND handelt lauter und unbefleckt, weil wir ausreichend gute Gesetze haben.

Dann kamen keine Briefe mehr an. Oder nur noch sehr wenige. Meist Spampost, die früher einmal Werbung hieß. Das verhieß ebenfalls nichts Gutes. Kein Rebell, der mal wenigstens eine Ansichtskarte aus dem Jemen an mich schreibt? Nein. Nicht einmal das. Weder konnte ich meine Briefmarkensammlung auf Afghanistan aufpäppeln, noch aus Nicaragua oder Indonesien. Es blieb sehr merkwürdig. Aber zu Busreisen ins deutsche Outback wollte man mich ständig locken. Konspirativ als Werbefahrt getarnt. Mir war schon klar, was da außer Heizkisten und Hühneraugenpflaster tatsächlich verkauft werden sollte. Und erst recht war mir klar, warum sie ausgerechnet mich als Agentin umwarben. Ich hatte das perfekte Biografie-Gen für eine Topspionin. So krass unauffällig, dass man mich jederzeit ins Putzgeschwader des Vatikans oder des Weißen Hauses hätte schmuggeln können. Und gab es für solche Rekrutierungsversuche etwa eine bessere Tarnung als die Busfahrten für Großeltern oder Rentner? Nein. Aber auf diesen billigen Agententrick fiel ich nicht herein.

Der Geheimdienst hatte mich dennoch schon längst in Isolationshaft genommen. Er musste ja wissen, wo er mit mir dran war. Wie gefährlich war ich wirklich? Wie und wofür geeignet? Was war mit meinen alten Russenkontakten? Ich hatte doch da schon mal in Kind aus Tschernobyl. Und was war das damals für eine Nummer mit Abdul? Dennoch wusste ich all das damals noch nicht. Also damals, vor zirka drei Monaten, gefühlte Jahrhunderte her, als noch niemand auf der Welt das Wort NSA hätte mit zusammenhängenden Sinn-Begriffen besetzen können. Jetzt wissen wir aber, dass sie die Zerstörer unserer Privatsphäre sind. Sie sind der zwischenmenschliche Super-Gau, weil ihnen ja nicht einmal ein Gau reichte. Sozusagen also mit super kosmisch-zukünftigen Ausmaßen, indem sie bereits zerstörten, was noch nicht einmal erfunden war!

Aus all dem musste ich Konsequenzen ziehen. Ich habe mein letztes Geld zusammen gekratzt. Ich habe Uwe den Auftrag gegeben. Uwe hat damals doch die Geschichte zwischen Melanie und Victor sauber aufklärt. Uwe ist Detektiv. Privatdetektiv. Einem öffentlichen Ermittler, gar einem verdeckten, ist nicht zu trauen. Denn sie bespitzeln auch die Auftraggeber. Kassieren doppelt ab. Alle. Immer. Legalisiert durch Gesetze, die so geheim sind, dass nicht einmal die Richter sie kennen dürfen, falls sie mal vor einem landen. Aber was Uwe damals herausfand, war sein Geld wert. Victor betrog Melanie tatsächlich! Das hat uns alle umgehauen! Das hatten wir Victor, dem Schnarchhahn, einfach nicht zugetraut. Uwe hat sich für mich damit qualifiziert, auch die Machenschaften des NSA nun endlich lückenlos aufzuklären. Er hat ein super Equipment. Er besitzt eine hoch auflösende Kamera. Ich habe ihm einen Flug in die Staaten gebucht. Weil er preiswert war, muss er aber in Miami zwischenlanden. "Das passt schon!", meinte er. Mit seiner Kamera wird er nun aktiv. Und ich bin sicher, er findet alles heraus, was diese Burschen mit meinem Leben anstellen. Und ich bin ebenfalls sicher, dass facebook, yahoo und all die anderen Anbieter, die ich derzeit noch nutze, demnächst ein massives Gerichtsverfahren von mir an den Hals bekommen. Sie sollten sich bloß vorsehen! Uwe hat mir schon Vorschläge gemacht. Er hat auch zwei Semester Jura studiert. Er kennt sich also umfassend aus.

Natürlich heißt Uwe nicht Uwe. Ich bin doch nicht blöd und erzähle hier in aller Öffentlichkeit wie Piet tatsächlich heißt. Soweit käme es noch! Uwes Ergebnisse machen mich jetzt schon ganz heiß. Die Amis sollen sich warm anziehen. Das kann ich ihnen versprechen. Und mit ein bisschen Glück platzt meine Bombe noch vor der Wahl. Das gibt ein riesiges Medienspektakel. Es ist nicht auszuschließen, dass meine Maßnahmen die Politik unserer Regierung zukünftig massiv verändern.

— 10. August 2013
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