Personenkult

Weidwunde Tiere auf der Flucht vor der eigenen Spezies – von Christa Schyboll

Für die einen ist es Heidi Klum oder der Dalai Lama, Mesut Özil, Lena oder Papst Benedikt. Bei aller Unvergleichlichkeit haben solche Menschen eines gemeinsam: Es wird ein sehr großes TamTam um ihre Person gemacht.

Nicht selten kann es sich bis zum Kult auswachsen, der als Personenkult bekannt ist und in übersteigerter Form eine bis in religiöse Dimensionen ragende Verehrung werden kann.

Dieser Personenkult ist jedoch sowohl vom Starkult als auch von der Heiligenverehrung nochmals zu unterscheiden. In Diktaturen tritt er besonders auf, wie uns Hitler, Mao, Mussolini oder Stalin anschaulich und schaurig demonstriert haben.

Allen gemeinsam ist, dass es eine Reihe von Menschen gibt, die aus ganz unterschiedlichen Gründen die Leistungen oder der Rang eines Einzelnen in eine Region erheben, die früher eine Art „Götterstatus“ hatte. Entsprechend werden Wünsche und Sehnsüchte projiziert und Erwartungshaltungen entwickelt, die solche Personen in der Regel nicht bedienen können, selbst wenn sie es wollten. Versuchen sie es doch und erliegen solchen Verehrungen, so zahlen sie es nicht selten mit dem bitteren Preis eines Absturzes, alternativ mit einem permanenten Stress.

Alles Private ist aufgehoben und nicht wenige – vor allem beim Star-Rummel – werden zu dauerhaft Gejagten, weidwunde Tiere auf der Flucht vor der eigenen Spezies, die sie zu unsterblichen Göttern machen wollen. Wollen sie nicht, werden Sie notfalls in den Hades geschickt. Die moderne Form des Hades oder der Unterwelt kann dabei im Einzelnen schon bedeuten, dass die Regenbogenpresse mauert und einfach nichts mehr berichtet. Auch das kann schon als Absturz empfunden werden.

Jugendliche sind besonders hartnäckig mit ihren eigenen Stars, weil sie eine Verkörperung eigener Sehnsüchte darstellen oder ansprechen. Erwachsene sind oft abgeklärter und können Wertschätzung und Bewunderung differenzieren, je nach dem Grad der eigenen Reife und den noch unbewussten Projektionen.

Für was die Bewunderung oder Wertschätzung dann herhält, ist spannend im Hinblick auf die Unvergleichlichkeiten, die dennoch die Gemeinsamkeit haben, eine große Gemeinde zu finden. Denn da finden sich dann so unterschiedliche Dinge wie Menschen, die in Amt und Würde gewählt werden (Päpste) und mit diesem Amt allein schon wieder automatisch verehrt werden. Oder die Intelligenzia, die mit handfesten Arbeitsergebnissen aus allen möglichen Bereichen sich zu Recht Nobelpreise verdiente, oder die Nonne aus Kalkutta, die Jahrzehnte bedingungslose Menschenliebe zelebrierte, bevor man sie in den Kultstatus erhob – oder die schönen Blonden, Brünetten, Rasierten, Rundumerneuerten mit den aufgespritzten Lippen, neugeformten Busen und himmellangen Beinen, deren körperliches Erscheinungsbild reicht, um so manche zu hysterischen Schreianfälle der Begeisterung zu verleiten.

Und wozu das alles? Vielleicht am Ende, weil wir tagtäglich die eigene Unvollkommenheit im Spiegel betrachten --- und dann sehen: schau an, einige können’s tatsächlich besser! Vorreiter für eine Menschheit, die ihre Protagonisten aus der Zukunft schon mal in unsere Gegenwart schickt um uns zu orakeln: So göttergleich werdet ihr Menschlein mal alle. Strengt euch nur genug an und glaubt daran, dass ihr das auch erreichen könnt! Nur: Wer bewundert uns dann, wenn wir alle so toll sind?

— 10. Oktober 2010
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