Heilige Schriften als Spielball des Terrors?

Überlegungen zum "gemeinsamen Feind" von Christa Schyboll

Der Krieg ist der Felsen, gegen den die Welle des Friedens endlos lange schwappen muss, um seine Härte zu brechen. Zuvor zerbrechen und sterben endlos viele Unschuldige am Terror, der sich auf Heilige Schrift en beruft. Wir wollen das Gute, wir reden vom Frieden - und: Wir rüsten auf! Die Sache ist faustisch, wenn man sie tiefer betrachtet.

Mörderische Attentate, Religionskriege, Kreuzzüge, Terror in vorwiegend islamistisch, christlich, atheistisch, hinduistisch, oder auch buddhistisch orientierten Ländern sind das, was die Menschheit seit Jahrtausenden unentwegt und immer wieder neu erleiden, bedauern und einfach nicht überwunden bekommen. Vielen entgeht dabei, dass es aber die Menschheit selbst ist, die es immer und immer wieder auch inszeniert, befeuert und die Grundlagen schafft. Die Masse der jeweils betroffenen Völker würde sich gewiss nichts lieber als die Hände zu Frieden reichen. Aber so funktioniert es seit Jahrtausenden auf allen Kontinenten eben nicht.

Mal sind es fanatische Einzeltäter, mal religiös- oder politisch fundamentalistische Organisationen, die um eine doch recht weltliche Macht kämpfen, aber dabei Gott, Götter und Paradiese gerne als Alibi "vorschieben"... und sogar teilweise an ihr eigenes Alibi auch glauben. Dabei hinterlassen sie immer wieder neu ein brutales blutiges Erbe. Gemeinsam ist fast allen Tätern die Instrumentalisierung einer Religion oder einer Ideologie. Oft kommt beides zusammen. Religionen, Heilige Schriften, Gott oder Götter werden erfolgreich missbraucht. Hier ist ein Schlangennest von Verführern und Verführten zu vorzufinden, die in Folge wieder den Rest der Menschheit vor allem bei der Frage nach dem rechten Weg polarisieren.

Die Missbrauchsopfer der Indoktrination, die später vielleicht dann zu fanatischen Mördern werden, sind überwiegend junge Männer, die fast nichts mehr zu verlieren haben und denen Heilsversprechungen persönliche Verheißungen werden. Gesellschaftlicher Status, Geistes- und Herzensbildung, Beruf und Existenzsicherung sind oft in einem desolaten Zustand. Einerseits sind es schicksalhafte Zustände, andererseits hat dieses Schicksal meist eine historisch oft wenig schöne Geschichte, aus dem es entstand. Die Aussicht, ein weltweiter "Held" oder "Märtyrer" für Stunden oder Tage zu sein und damit endlich auch einmal in dieser Welt etwas zu gelten, ist dann lukrativ. Und koste es das Leben, das in dieser ihrer Welt ja keinen Wert mehr hat.

Gedanken zum "verkannten Feind"

Derzeit geschieht dieser Terror vor allem im erschreckenden Maße im islamistisch-fundamentalistischen Kontext. Der Koran wird missbraucht, erzählen uns friedliche gläubige Muslims, die diese Schrift auch barmherzig zu deuten und vor allem zu leben wissen. Zu anderen Zeiten zeichneten aber auch andere Religionsverblendete für gleich böse Blutspuren. Keine Religion der Welt ist davor gefeit, missbraucht zu werden. Die Religionskriege beweisen es durch ihre zahllosen Opferzahlen, weltweit, kulturüberspannend. Die Interpretationen, was alles und wie "religiöses Leben oder Auftrag" verstanden werden kann, unterliegen dabei in der Regel den eigenen Zielen, die sowohl dem Frieden und der Humanität wie auch der Willkür und dem Mord Tür und Tor öffnen können.

All das hat einen gemeinsamen Feind. Es ist die menschliche Dummheit, die sich aus gleich vielem nährt, das uns mit in die Wiege gegeben und als Aufgabe zu verstehen ist. Sie ist besonders hoch angereichert durch das lüsterne, böse, ungebrochene Spiel der Macht, das immens reizvoll ist für den, der danach strebt. Das können Einzelne wie auch für Organisationen, Staaten oder sonstige politische Gruppierungen sein. Der eigene Tod im Falle Einzelner oder der Tod Unschuldiger, Unbeteiligter spielt dann für die Verblendeten keine Rolle mehr.

Nicht etwa die Gläubigen oder Nichtgläubigen/Atheisten sind unser Problem, sondern es ist immer die niedere menschliche Gesinnung, die Menschen in den Wahn treibt und mit Jenseitsversprechungen lockt, wenn im Diesseits eh nichts mehr zu holen ist. Sie sind das letzte Glied in einer fatalen Kette der Unmenschlichkeit, die Böses im Sinn hat.

Mangelnde Brüderlichkeit, ein hohes Maß an Unmenschlichkeit, Intoleranz, Dummheit, unzureichende Bildung, fehlende Chancengleichheit, weltweite Ungerechtigkeiten, Machtspiele von allen Seiten sind unsere wahren Feinde - über alle Kulturen, Anschauungen oder Religionen hinweg.

An und mit diesen "Feinden", die keine bloßen Feind-"Bilder" sind, sondern als real-menschliche Stützpfeiler des Bösen agieren, wird seit Jahrtausenden viel zu wenig gearbeitet. Gegen sie ständig. Aber sie zu bekämpfen, ohne dabei die Ursachen mit im Blick zu haben, scheiterte durch die ganze Menschheitsgeschichte. Daraus wurden bisher keine Lehren gezogen.

Aufrüsten für den Frieden?

Die Analyse ist zugleich jedem bewusst hinschauenden Menschen längst klar. Doch die Konsequenz aus der Klarheit ist nicht schön. Ja, sie erscheint vielen erschreckend, weshalb man sie in Folge dann auch lieber ablehnt. Denn die Konsequenz bedeutete für viele Menschen doch auch Verluste aller Art. Denn die ganze Weltgemeinschaft müsste nach und nach "umgebaut" werden, um eine gerechtere Welt zu schaffen, die all diesem Wahn den Sauerstoff entzieht. Kleine Gruppen, auch aus allen religiösen Lagern und NGOs versuchen das lange. Aber sie sind der Übermacht der Mächtigen nicht gewachsen. Zugleich gilt: Umbaumaßnahmen führen zu vorübergehendem Chaos. Es ist "schmutzig", unbequem und verlangt viel von vielen zugleich ab. Das überfordert zunächst. Die Alternative: Nicht daran zu arbeiten, nicht "umzubauen", wird aber noch mehr abverlangen... Es ist ein Hinausschieben auf Zeit, das seinen Tribut fordert. Natürlich scheuen sich Politiker aller Coleur weltweit, einen solchen notwendigen Umbau in Angriff zu nehmen. Machtverlust für sie wäre die Folge. Zudem: Sie fänden in den reichen Ländern ja auch keine Mehrheit. Denn wer will nicht an dem, was er lieb gewonnen hat, festhalten? Eine allzu menschlich verständliche Reaktion, die aber zugleich eine fatale Wirkung zeigt. An der Frage des persönlichen Verzichts verziehen sich die idealistischen Werte schnell auch wieder in die Dunkelkammer der Verdrängung. Wir wissen alle: Eine gerechtere Welt, die in sich humaner, gesünder entwickelt wäre, würde diesem terroristischen Wahnsinn den Boden mehr und mehr entziehen.

Doch lieber rüsten wir weiter auf, bewaffnen uns martialisch, sammeln mehr und mehr Daten, investieren weitere Abermilliarden (eher Billionen!) an Dollars und Euros in weitere Antiterrorkriege, die immer wieder neuen Terror mit neuer menschlicher Munitionswaffe herbei beschwören werden, weil es doch letztlich alles aufeinander fußt.

Der Krieg ist der Felsen, gegen den die Welle des Friedens endlos lange schwappen muss, um seine Härte zu brechen. Zuvor zerbrechen und sterben endlos viele Unschuldige. Wir kämpfen noch immer am falschen Ende. Wir wollen das Gute, wir reden vom Frieden - und: Wir rüsten auf!

Die Sache ist faustisch, wenn man sie tiefer betrachtet.

Der Mensch liebt den Frieden. Aber den kann er nicht. Zumindest nicht global und nachhaltig. Was er kann, ist Krieg. Und weil der Mensch, das was er kann, liebt, führt er Kriege, zettelt sie an, wird zum Opfer des eigenen bösen "Talents", obschon er tatsächlich den Frieden liebt. Es scheint paradox. Aber es ist die Wirklichkeit, die wir alle erleben. So bleibt der Wahnsinn von Terror, Attentaten, Kriegen, zahllosen Toten und Trauernden erhalten.

Allen Opfern in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist immer in Trauer zu gedenken. Aber sind wir Ihnen nicht mehr als nur Gedenken schuldig? Sollten wir uns im Gedenken nicht tiefer als bisher besinnen?

— 10. Januar 2015
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