Religion

Reiner Humbug oder Kraftquelle? Von Christa Schyboll

Religion ist oftmals tödlich. Ganz konkret und physisch. Bis heute werden Menschen in ihrem Namen ermordet und vorher oft unsäglichem Leid unterworfen. Religion macht unfrei. Wie viele unsinnige Ge- und Verbote Gläubige davon abhalten, ihr eigenes wertvolles Potential zu nutzen, hat noch keine Statistik erfasst.

Durch die Dogmenlehre vieler Religionen werden oftmals die schönsten Seiten im Menschsein verachtet, niedergedrückt, verboten und oftmals hart bestraft. Religion behindert häufig die Fähigkeit des eigenständigen Denkens, führt in mentale Abhängigkeiten und kann als Droge wirken, in deren Folge sich eine kranke Fratze der Entartung zeigt. Nichts, was nicht an unmenschlichen Taten speziell im Zusammenhang mit Religion von den Menschen bereits praktiziert wurde. Die Folterkammern der Welt, für die Durchsetzung religiöser Ziele erbaut, sprechen die Sprache unsäglichen Leides, in dem die Hölle auf die Erde für die "Ungläubigen" vor verlagert wurde. Tod, Schmach und Schmerz in ihrem Namen füllen Bücher und Bibliotheken. Ihre real erzeugte Schreckensherrschaft hinterließ Traumata ungeahnten Ausmaßes.

Und dann die andere Seite der Religion. Welcher der Weltreligionen auch immer. Hier sind Liebe und Zuversicht nicht nur zu finden, sondern werden gefördert und gefordert. Hoffnungen, Mitleidsfähigkeit und die Kraft zur Agape sind Grundpfeiler ihres Wirkens und Wollens. Hier wird Gnade erlebt und das Starke im Menschen zum starken Guten unterstützt. Auch der Mut zur Authentizität kann erwachsen, so man die Perlen religiöser Ausrichtung für sich selbst aus dem Sammelsurium der Möglichkeiten heraus kristallisiert.

Religion ist eine machtvolle Kraftquelle, die nach mehr strebt als jene Kräfte, die dem Menschen so menschlich scheinen. Fast scheint es so, als übertrage der Mensch einen Teil seiner vielleicht einmal vorhandenen Zukunftsqualitäten auf ein Höheres, das er von sich abspaltet und in den verschiedenen Formen von Religion wieder findet. Re-ligio. Vielleicht ist es eine Zurückbindung an das eigene ur-göttliche Wesen, das zugleich auch menschlich werden wollte, um zu sich selbst erfahrungsreich zurückzukehren. Menschen, die nach und nach zum Göttlichen emporwachsen durch Versuch und Irrtum in dualistischen Verhältnissen, der die Chance zur Willensfreiheit feilbietet durch das Ja oder Nein. Die Freiheitsgüte ist dabei von jedem Individuum selbst zu erarbeiten. Stufe für Stufe.

Je freier und undogmagtischer das geschieht, je weniger Barrikaden verblocken das Ziel zu dem eigenen göttlichen Zentrum, dass vielleicht ja vorübergehend in eine religiöse Projektionsfläche von innen nach außen gestülpt wurde, der wir zustreben, um uns irgendwann wieder mit der Quelle zu vereinigen.

Dass ohne Religion im herkömmlichen Sinne dieser Weg ebenfalls erfolgreich bestritten werden kann, zeigen uns die Humanisten aller Kulturen, die einen anderen individualistischen Weg bevorzugten und dort zu gleichen Erfahrungen persönlicher Höherentwicklung kamen, wie wir sie auch bei großen Mystikern finden. Jene, die diesen ganz anderen Weg gehen, werden aber nicht zwangsläufig zu dem Schluss kommen, alles Religiöse sei an sich Humbug, sondern werden genau zu unterscheiden wissen. Auch eingedenk all der unterschiedlichen Bewusstseinsgrade, die den individuellen Menschen zu jeglicher Zeit auszeichnen. Und da kann Religion, ohne rigide Dogmenlehre, einmal zur Quelle erster innerer Freiheiten werden, die vorübergehend Trost und Stütze gibt. Die notwendige Werte anbietet und eine Richtschnur, die sich nicht jeder Mensch alleine erarbeiten kann.

Die kritische Abgrenzung zum Religiösen dort, wo sie notwendig wird aufgrund eigener Erkenntnisse, wird zwangsläufig erfolgen. Ebenso wie aber auch die Einsicht, dass all die großen Weltreligionen durchaus ihren Sinn für die Menschen ihres Kulturraumes haben in ihrer jeweiligen Zeit, unabhängig davon, dass sie inhaltlich fehlerbehaftet sind und von Menschen geleitet werden, die nicht immer Vorbild sein können. Religion ist ein Angebot an die geistige Entwicklung des Menschen, die je nach Fortschreiten ihr vermutlich immer weniger bedarf, weil sich die innere Kraftquelle mehr und mehr erschließt und der äußeren Projektionsfläche entwachsen ist. Bis dahin aber macht sie für viele Sinn und ist Stütze für eine gewisse Wegstrecke.

— 06. August 2010
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