Schweigen

Sich der Wahrheit stellen!, meint Christa Schyboll

In unserer lärmenden Welt zu schweigen, kann gesund wie auch gefährlich sein. Schweigt man im falschen Augenblick, setzt man sich dem Verdacht des Nichtwissens aus. Des nicht mithalten Könnens. Im Status der Uninformiertheit oder am Ende des Nichtbegreifens zu sein.

Das Schweigen der Dummen, Unwissenden, der Begriffsstutzigen oder Einfältigen. Wer möchte schon in eine solche Schublade gesteckt werden.

Schweigt man im richtigen Augenblick, zeigt man jedoch Größe, die unter Umständen über das gesammelte Wissen der Anwesenden hinausgeht. Das Problem dabei jedoch ist, dass jeder einen anderen Zeitpunkt als richtig oder falsch empfindet, was dazu führt, dass Schweigen zu großen Missverständnissen unter den Menschen führen kann.

Lautes Schweigen? Ja, das gibt es. Genauso wie ein eisiges Schweigen, wissendes Schweigen oder dumpfes Schweigen. Solche und andere Attribute des Schweigens sind Abhängig vom Grad der persönlichen Wahrnehmung und der Atmosphäre im Raum. Sie zeigen mehr als jedes Wort, was aktuelle Wirklichkeit ist. Viele Menschen halten diese Wirklichkeit nicht aus. Sie müssen sie schnell mit Worten aus ihrem Bann erlösen, damit niemand zu genau hinschaut oder in diese Stille hinein lauscht, die oft mehr sagt, als tausend Worte. Schweigen auszuhalten und nicht durch Worte zu zerstören, braucht manchmal Mut. Bricht jemand das Schweigen, zeigt er oft auch die eigene Angst. Seine Sorge, die drückende Atmosphäre dieser neuen Stille könnte sich entladen und so zeigen wie sie ist: zerstörerisch oder klärend. Aber oft mit ungewissem Ausgang. Ein Eingriff mittels beruhigender Worte könnte rettend für die betroffenen Anwesenden sein, könnte die Unsicherheit minimieren. Doch die Wahrheit ist damit nicht immer auch selbst schon gerettet. Sind also beruhigende Worte auch dann sinnvoll, wenn das Schweigen zu tieferer Wahrheit geführt hätte? Soll man eine Situation immer zwanghaft entkrampfen, nur weil man den Krampf nicht mag? Soll man sich und den anderen die Wahrheit nicht zumuten, die durch das Schweigen an die Pforte des Bewusstseins klopf?

Manchmal mag es angebracht sein, das „Macht“-Wort zu sprechen, das den Zauber auflöst, in dem man geraten ist. Aber viele Male im Leben kann es auch zum Sakrileg werden, wenn man dem Schweigen die Wahrheit stielt, die als leise Aufforderung und große Chance zugleich vor uns im Raume steht.

— 23. Juni 2013
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