Ablehnung und Annahme

Haben Sie genug Mut zum Groll? fragt Christa Schyboll

Wie oft würgen Sie? Nicht am Essen, sondern am Groll? Wie oft schlucken Sie ihn herunter, obschon er Ihnen bereits auf der Zunge liegt? Und zwar durchaus berechtigt und manchmal sogar noch leicht nachweisbar durch faktische Erläuterungen.

Und wie oft sind Sie neidisch auf die, die nicht einmal im Traum daran denken, ihren Groll herunterzuschlucken? Die ihn oft weder beweisen können und sich unter Umständen nicht einmal im Recht befinden, aber dennoch eben ihre eigene Sichtweise haben, die zum individuellen Groll führt, der spontan, laut und unbarmherzig durch den Raum dröhnt.

Die gesammelte Menschheit der Sensiblen, Zurückhaltenden, Rücksichtnehmer, Vorsichtnehmer ist hier gefragt, der es schwer fällt, sich im richtigen Augenblick adäquat zu wehren, wenn es angesagt ist. All die Zauderer und Zögerer, die sich zwar durchaus selbst verletzen können, aber nicht den anderen. Nicht einmal dann, wenn er es dicke verdient hätte und ihm die gesunde Grenze gesetzt werden müsste.

Die Gruppe, die ich anspreche, ist größer als man meint. Oft handelt es sich um beliebte und durchaus sympathische Zeitgenossen, die keinem etwas tun. Menschen, die unaggressiv agieren, weil Aggression nicht in ihr genetisches Programm mit eingestanzt wurde. Auch fehlen ihnen wehrhafte Erziehungsstile und kämpferische Elemente, wenn es sich um bestimmte zwischenmenschliche Situationen handelt. Aber es handelt sich eben auch um die "fusselfreien" Typen, mit denen man einfach zuviel machen kann, weil sie es zu lange geschehen lassen. Langmut und Geduld werden hier zur ungesunden Überzeichnung.

Es handelt sich oft um einen Mangel an notwendigem Selbstschutz, der alle diese Menschen eint und sie immer wieder dazu "zwingt", berechtigten Groll nicht im gleichen Augenblick auch auszusprechen und loszuwerden. Ihr Schwanken birgt eine Furcht, den anderen eventuell noch mehr zu verletzen als man selbst bereits verletzt ist. Oder aber der eigenen erlittenen Verletzung eine weitere durch drohende Ablehnung hinzuzufügen, wenn man sich jetzt auch noch wehrt. Unentschlossen türmen sich ambivalente Gefühle hoch, die nicht dem Grundgefühl oder der Situation angemessen sind, sondern die sich aus unbekannten Tiefenschichten blitzschnell in den Vordergrund drängen und das Handeln übernehmen: vor allem durch Nichthandeln, durch Zurückhaltung am falschen Platze, durch zögernde Zwiespältigkeit, die nicht in der Lage ist, sich blitzschnell zu sich selbst und seinem eigenen Schutz zu bekennen. Angst ist dabei und manchmal auch eine Prise Feigheit. Angst vor der Ablehnung, vor Liebes- Sympathie- oder Freundschaftsentzug, den man eventuell schon in der Kindheit früh in der einen oder anderen Weise erfahren hat. Das intellektuelle Durchschauen der eigenen falschen Zurückhaltung mag dabei durchaus gegeben sein. Aber die richtige Handlung durch die eigenen Emotionen nicht zu blockieren ist durch reine Analyse keineswegs allein schon geschafft. Das braucht eine mächtige Umprogrammierung.

Was ist zu tun, gegen dieses unliebsame Leiden? Wie wäre es mit einer Prise neuer Radikalität? Einer Prise Mut, die sich sagt: Ich nehme lieber die Ablehnung in Kauf, als dass ich weiter Verrat an mir selbstübe! Ich verzichte lieber auf ein Wohlwollen oder eine Freundschaft, die letztlich nichts wert ist, wenn ich mich dafür verbiegen muss…

Es gibt eine Reihe von Assoziationen und neuen gesunden Glaubenssätzen, die das unnötige Würgen am Groll ersetzen durch ein klares Wort zur rechten Zeit. Hiermit zu beginnen ist nie zu früh. Nur beginnen muss ein jeder selbst damit.

— 04. Oktober 2011
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