Selbstmord

Er-Lösung oder Unvermeidlichkeit? fragt Christa Schyboll

Selbstmord gehört zu den schwierigen Themen, bei denen man schnell missverstanden werden kann. Gern wird das Thema tabuisiert, weil der Akt so unmissverständlich endlich ist. Das ist natürliches Sterben zwar auch, aber damit hat sich die Menschheit abgefunden, weil es der Ursprünglichkeit des Seins angehört.

Für wen also ist Selbstmord eine Lösung? Für jene, für die alle Schmerzmittel ausgereizt sind und dennoch Abgrund tief weiter leiden, ohne erlöst zu werden? Oder für die, die an die totale Auslöschung ihrer Gesamtheit glauben, wo nichts als Staub zurückbleibt? Oder für jene, deren seelische Verfassung oder geistige Verzweiflung durchaus auch in einem gesunden Körper ein unmenschliches Maß an Schmerz birgt, so das jede Phantasie für eine Alternative stockt?

Letztlich können es nur die Selbstmörder beantworten, die es nicht überlebt haben. Aber wie mit ihnen sprechen? Und die, die es überlebt haben, sind immerhin keine. Sie haben es so "eingerichtet", dass sie letztlich gerettet wurden und eine neue Chance bekamen.

Nietzsche bemerkte einmal: "Alle ernstzunehmenden Denker ziehen den Selbstmord in Betracht. … Der Gedanke an Selbstmord ist ein Trostmittel in langen Nächten“. So mag es sehr vielen Menschen ergehen, die sich mit diesem Gedanken in Stunden größter Not trösten. Der Gedanke kann durchaus aber auch ein gutes Mittel sein, sich selbst von dieser Spitze der Verzweiflung wieder herab zu holen und neu mit dem Denken über alternative Möglichkeiten zu beginnen. Es gibt sie fast immer. Jedenfalls um ein vielfaches öfter, als es eben Selbstmörder gibt. Nur was hilft es ihnen, wenn sie nicht selbst darauf kommen und es ihnen niemand sagt? Geschieht Selbstmord vielleicht manchmal aus einem Mangel an Phantasie, der all die anderen Möglichkeiten außer Betracht lässt? Denken Selbstmörder am Ende einfach häufig nicht konsequent ihre eigene Lage zu Ende? Oder stecken sie in all den unseligen Gefangenschaften von Moral oder Moralin, wo sie gewissen Verzerrungen erliegen, die sie falsch denken, fühlen und handeln lassen?

Manch ein Selbstmörder müsste keiner werden, wenn die Umgebung einen schärferen Blick für den Nächsten hätte. Für den, der gefährdet ist und zugleich aber noch so viele Möglichkeiten nicht einmal angedacht hat. Oder jenen, die aufgrund bizarrer Vorstellungen von Welt und Gesellschaft sich unbewusst in ein Labyrinth verstrickten, aus denen nur die Klarheit eines gesunden Gedankens den Weg hinaus weisen kann… sofern der Selbstmordaspirant ihn zulässt und bewegt!

Selbstmörder zu sein, ist nicht nur allein eine individuelle Angelegenheit. Es sind in aller Regel eine Reihe von unbewusst/unabsichtlich oder bewusst/absichtlich agierenden "Mittätern" daran beteiligt, wenn sich jemand verzweifelt das Leben nimmt. Dennoch bleibt die Verantwortung im Falle einer Selbsttötung bei jedem selbst. Selbstmord ist in den meisten Fällen auch keine wirklich freie Handlung, wie freiwillig sie auch zu sein scheint, sondern oft eine Zwangshandlung, die aufgrund eines eingeengten Blickfeldes die Möglichkeiten der Wirklichkeit und alternativen Lebensmodelle verstellt.

Alle die daran mitwirken, Gefährdeten neue, gehbare und umsetzbare Wege aufzuzeigen, wirken auch daran mit, Krankes in Gesundes zu verwandeln, dessen Kraft dann wieder der Gemeinschaft konstruktiv zufließen kann.

— 04. Oktober 2011
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