Sicherheiten

Eine Gretchenfrage, die Unruhe schafft – von Christa Schyboll

Wie schnell gehen einem Menschen doch Behauptungen über die Lippen. Man hat etwas gehört, für sich selbst bedacht, durchfühlt und sich dann seine Meinung darüber gebildet.

Der Aufwand, der für eine ausgesprochene Nachrecherche in Bezug auf alle denkbaren Faktoren von Stimmigkeit, Fakten und Wahrhaftigkeit betrieben wurde, war eher „normal“. Das heißt konkret: er fand nicht wirklich statt. Man glaubte der Quelle und hatte zudem von Anfang an ein „gutes, stimmiges Gefühl“.

So weit, so üblich. So kennen wir es aus unzähligen, zumeist auch unreflektierten Gelegenheiten unseres Alltagslebens. Alles nachzuprüfen, was wir hören oder sehen, wäre zudem zeitlich keinem Menschen möglich. Mit anderen Worten: wir sind darauf angewiesen, erstens der Quelle zu vertrauen oder misstrauen – und zweitens unsere innere Instanz zu befragen, ob sie zustimmt oder ablehnt. Dann bilden wir uns unsere Meinung. Dieser Akt läuft so unbewusst ab wie unser Blutkreislauf oder die Chemiefabrik in unserer Leber. Sekunden oder Minuten später „wissen“ wir, wie wir zu dieser oder jener Sache stehen. Ja oder Nein…!

Dann kommt jemand, der uns kraftvoll ins Wanken bringt. Das sind spannende Momente. Er erschlägt uns keineswegs mit dem Gegenteil, sondern mit der lapidaren Frage: „Sind sie sicher, dass es so ist?“…. Wwwwumm! … das hat gesessen. Diese Sicherheitsfrage hat man „so“ explizit streng an sich selbst ja gar nicht gestellt. Die Neigung, nun hier schnell JA zu sagen, droht einen zu überfluten. Das Gesicht möchte man gerne wahren. Aber die Flut kommt oftmals trotzdem. Denn nun hält die Verunsicherung Einzug wie ein ungebetener Virus, der unser mentales Immunsystem zu schwächen beginnt.

Wie immer es im Außen weiterlaufen mag: Im Inneren beginnt ein leises oder lautes Chaos. Schuldgefühle – je nach Fall – könnten sich bei wichtigen Angelegenheiten einstellen, überhaupt keine echte Überprüfung einer Sachlage durchgeführt zu haben. Gleichzeitig beeilt sich die „Abteilung Absolution“, schnell ihre Segnungen und Beruhigungspillchen zu verteilen, dass man sich bei der Quelle doch auf der sicheren Seite bewege. Immerhin eine anerkannte Tageszeitung, die Hauptnachrichten oder jene unzweifelhaft menschliche Größe mit Reputation.

Und die können alle nicht irren? Können sie alle nicht den gleichen Fallen anheim fallen, wie man selbst? Haben nicht auch sie die Neigung, in Zweifelsfällen nicht immer nur nüchtern zu recherchieren, sondern ab einem gewissen Punkt ihr eigenes Gefühl zu befragen – und aus diesem heraus, die letzte Entscheidung zu treffen, bevor es an den nächsten als quasi-Behauptung weiter geht? Das dürfen sie nicht!? Das verbietet doch die journalistische Sorgfaltspflicht? … Spätestens an dieser Stelle sollte man aufwachen und den Realitäten ins Auge schauen, wie oft dies leider unterbleibt und man Lancierungen anheim fällt, die allzu geschickt uns einzulullen verstanden… mitsamt unserer nicht immer hellwachen inneren Instanz.

Und die Alternative? Etwa das weise innere Wissen nicht mehr zu Rate ziehen? Darauf zu verzichten, mit zu erwägen, was man bei einer Sache fühlt? Nein – sicher nicht. Aber eine gesteigerte Wachsamkeit sich anzutrainieren, die zur Vorsicht rät, bevor man aus einer Information eine eigene neue Anschauung oder feste Behauptung macht, ist sicherlich nicht nur dumm.

— 18. Oktober 2010
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