Sorgen – Eine deutsche Sonderbegabung!

Warum man sich am besten gleich selbst mit ent-sorgt - von Christa Schyboll

Das neue Jahr ist da. Die alten Sorgen auch. Das eine so zuverlässig wie das andere. Natürlich bleiben die alten Sorgen in aller Regel brav jenseits der Datumsgrenze bestehen, die vor allen Dingen ja nur einem gilt: Den guten Vorsätzen. Und die braucht man nur für Dinge oder Ereignisse, die eben Sorgen machen oder sonst wie nicht optimal laufen.

Wofür haben wir eigentlich ein ziemlich komplexes Hirn bekommen? Am Ende, um uns ständig Sorgen zu machen? Oder noch besser: Um der Evolution mal zu zeigen, was wir so drauf haben in Punkto Sorgerei für Nichts!? Dafür muss man erst einmal begabt sein! Nicht jedes Volk ist da so gründlich wie die Deutschen.

Vielen Menschen in aller Welt sind unsere „Sorgen“ dermaßen unverständlich, dass sie vermutlich mit dem Begriff und dem entsprechenden Ereignis sogar ein Verständnisproblem bekämen. Nicht so wir! Wir schaffen es, Sorgen zu kreieren, die schon fast ans Übermenschliche grenzen. Die Meister der Sorgerei. Regelrechte Sorgenkunstwerke! Egal ob es um die Rentenversicherung in 35 Jahren später geht oder die Erbschaftsansprüche der noch jung gebliebenen Tante, die einen obskuren Kerl neuerdings in ihrem feinen Ambiente empfängt. Wir sorgen uns um die Gesundheit – und wenn wir letztere verloren haben, sorgen wir uns um die Krankheit. Droht die uns auch abhanden zu kommen, sorgen wir uns um die Pflege und dann später um den Tod. Wer denkt, jetzt sei Schluss, irrt sich!

Wer sich richtig pflichtgemäß und gründlich zu sorgen versteht, sozusagen auf echt deutsche Weise, wer da mit Liebe, Phantasie und Begabung rangeht, kann sich dann auch schon mal ums nachtodliche Sein sorgen. Dabei sind wir heute ja gar nicht mehr auf Himmel oder Hölle als einzige Sorgenalternative angewiesen, sondern haben unser Sorgenspektrum um viele Möglichkeiten bereits erweitert - je nach Weltanschauung oder Glaubensrichtung. So darf sich der eine um seine Samenbanklagerung sorgen, was die Stickstoffkühlung im Falle von Notstromaggregatausfall angeht. Oder man kann sich sorgen, ob nach dem Nirwana am Ende doch noch was kommt und das schiere Nichts sich als das Alles erweist. Oder man kann sich sorgen, mit welchem Karmapartner man in der nächsten Reinkarnation welche Scharmützel nun auszutragen hat, an wem man sich rächt oder ob man sich dazu entschließen darf, gar nicht mehr körperlich zu zentrieren, sondern selbst in einen anderen Aggregatzustand einzugehen

Die gleiche Maß an Sorgen, dass wir unserem Körper, unserer sozialen und physischen Umwelt zukommen lassen, können wir famos auch auf jeden geistigen, vermeintlichen, nachtodlichen, wiedergeburtlichen Zustand übertragen. Das ist quasi unser Garant, dass uns unsere Sorgenthema wirklich niemals ausgehen. Auch nicht im Tod.

Um heftig Sorgen zu kreieren, die auch dann eine Wirksamkeit in uns haben, uns richtig quälen und belasten, brauchen wir vortreffliche neuronale Verbindungen zwischen unseren grauen und weißen Zellen und den Synapsenschaltungen… natürlich mit direktem Draht zum Herz und Bauchgefühl. Nun wissen wir aus der Hirnforschung, dass die gedankliche und gefühlsmäßig begleitete Belebung bestimmter Gedanken – wie z.B. Sorgen – diese verstärkt und mit der Verstärkung zur Wirklichkeit drängt. Sprich: wenn wir uns heftig viel Sorgen machen, werden wir in gewisser Weise einerseits intelligenter – aber andererseits werden auch mehr und mehr unserer Befürchtungen eintreffen, weil wir mit unseren Sorgen dafür ja heftig sorgen.

Wenn wir aber nun es schaffen, uns zu ent-Sorgen, also trotz unserer Sorgenkreation keine Sorgen mehr zu empfinden, ist ein noch komplexeres Schaltwerk vonnöten, das noch viel mehr Intelligenz braucht, die dann wiederum im Gesamthirn seine positiven Spuren hinterlässt.

Kann man aus allem vielleicht schließen, dass über den Umweg von unnützen Sorgen eine Art „Sonderweg“ gegangen wird, der durch das Vermögen einer anschließenden Ent-Sorgung der Sorgen unsere Intelligenz entsprechend puscht?

Und wohin mit den ent-sorgten Sorgen?

Vielleicht einfach rein ins kuschelige Körbchen des Vertrauens, der Zuversicht und grundlosen, schieren Lebensfreude?

— 06. Januar 2010
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