Damit wir uns nicht falsch verstehen!

Un-Möglichkeiten der Verständigung von Christa Schyboll

Menschen verstehen einander falsch. Manchmal sind solche Missverständnisse tödlich. In anderen Fällen kommt man mit blauen Flecken am Körper oder an der Seele davon. Dies war zwar auch schon vor der Erfindung der Sprache der Fall.

Nonverbale Kommunikation war jedoch zumindest ausreichend überlebensfähig für unsere Spezies, die ihr Problem mit sich selbst mehr und mehr differenzierte. Und das ausgerechnet trotz und zugleich durch die Verfeinerung unserer Ausdruckmöglichkeiten. Jeder Sprachraum erwies sich dabei als enorm erfinderisch und raffiniert. Originell wie einfaltsreich wurden feinste Nuancen von Gefühlen und Gedanken bestimmten Begriffen zugeordnet, die wiederum neue Gedanken und neue Gefühle auslösten. Das Sprechen machte mehr und mehr Spaß, da es die Gedanken immer tiefer in die labyrinthischen Windungen des Broca-Areals und des Wernicke-Zentrums unserer Großhirnrinde trug. Auch der Herzraum für Gefühle öffnete sich weit. Zu den uralten Körpergesten gesellten sich nun auch stimmliche Begriffe, die eine weitere Befeuerung der Psyche bewirkten.

Und damit begann der Ärger! Je höher die Evolution fortschritt, je problematischer wurde die Sache mit der Verständigung. Eines der Probleme war die Tatsache, dass sich die Sprechenden nicht auf dem gleichen geistigen Level befanden oder zu starke kulturelle Unterschiede aufwiesen. Je mehr aber einer der Kontrahenten eine Gleichrangigkeit geistiger Voraussetzungen annahm oder behauptete, je schwieriger gestaltete sich die Kommunikation. Versagte sie mangels Gleichschaltung, zündete oftmals die Trägerrakete im Kehlkopf ihre erste Stufe und explodierte mit enormer Lautstärke in den akustischen Raum. Eine rechtzeitige Zündung der zweiten Stufe bewirkte nicht selten, der Zwillingsstartrakete die Energie vollständig zu entziehen. Das Ergebnis war der Zustand spontaner Sprachlosigkeit mit finalem Erlöschen der Diskussion. Dort jedoch, wo die Zwillingsrakete gleich mit zündete, entwickelte sich häufig ein furioses Wortgemetzel, in dessen Folge jeder Gegenstand zur archaischen Waffe mutieren konnte. IPads als flache Bumerange oder ein Mainboard als schweres Wurfgeschoss füllten die Leerräume nicht vorhandener Worte auch Jahrtausende nach der Geburt der Sprache, der Erfindung Knochenspeerschleuder oder der Silexspitze.

Eines der Probleme war der Nominalismus. Dieses Universalienproblem betraf die Frage, ob es Allgemeinbegriffe wirklich gibt oder sie menschliche Konstruktionen sind. Da diese Begriffe aber beständiger Zankapfel in der zwischenmenschlichen Kommunikation waren, die dazu führte, dass man sich weniger genau verstand, kam es immer wieder mittels handgreiflicher Verwendung modernem Hightech-Zubehörs zur Zündung archaischer Strukturen und Handlungen. Ganz so, als habe man die zwischenzeitlich erfolgte geistige Evolution vollständig ausgeblendet. Selbst bei exaktem Hören blieb es nicht aus, dass die verwendeten Begriffe einfach zu unterschiedlich besetzt wurden. Und schon knisterte es wieder in der uralten Seele der Spezies Mensch und seinem Zweitgehirn, dem Bauch. Es wurde etwas vernommen, was der andere nie so gesagt, aber noch ganz anderes als anschließend interpretiert gemeint hatte! Selbst bei Benutzung der Muttersprache schlidderte man ins kommunikative Chaos, das nicht selten auf der urwüchsigen Ebene des Körpers wieder endete.

Die Wirklichkeit des anderen zu deuten war dabei die ganz große Kunst, die nur den Klügsten gegeben war. Nicht das gesprochene oder nicht gesprochene Wort ist dabei entscheidend, sondern die Fähigkeit, sich in eine Situation so hinein zu begeben, dass mit Offenheit und Mitgefühl der Sinn, der Zweck und das Ziel erfasst werden können. Das braucht Vertrauen. In Situationen des Streitens ist es nur schwer möglich, da die entscheidenden Kanäle verstopft sind mit dem, was der Bauch hört oder hören will und der Mund spricht. Hören mit dem Herzen ist die einzige Instanz, die vollständig hört, so sie reine Quelle ist. Dem Ziel der Verständig kommt man damit am ehesten nach. Jenseits von Wort, Begriff oder fremder Sprache.

Und hilft das alles nicht, nehme man die Gestik dazu, öffne die Hand, oder öffne seine Arme für den anderen … und zeige was man fühlt.

— 03. August 2010
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