Sprichwort

Ein Wort, das zu uns spricht, von Christa Schyboll

Ist über Sprichwörter zu schreiben etwa so, als trage man Eulen nach Athen? Sprechen Sprichwörter nicht für sich selbst? Oder sprechen sie für uns und unsere Empfindungen vor allem, wenn wir etwas sagen möchten und keinen eigenen geeigneten Ausdruck dafür finden?

Was überhaupt sind das für Sätze, die wir als Sprichwörter verstehen? Zunächst wohl fest geprägte Sätze, die eine Lebensregel oder eine Weisheit in kurzer Form ausdrücken. Lange Erfahrungen mit dem Sinn des Gesagten liegen in der Regel zugrunde. Das bedeutet nicht, die Ausnahme von der Regel könne nicht durchaus auch volle Gültigkeit haben und die Weisheit je nach Situation und Bedingung relativiert zu sehen sei.

Nicht selten geben Sprichwörter geradezu tollkühne Behauptungen von sich, die heute kaum jemand so unterschreiben würde. Man denke allein an das Sprichwort von "Jung gefreit hat niemand gereut". Sprichwörter fußen in der Regel auf individuell gemachten Erfahrungen, die für die betreffenden Personen als wahr und wichtig genug erlebt und deshalb auch weitergegeben wurden. Eine Reihe dieser durchlebten Ereignisse schaffte es ins Kollektivbewusstsein und wurde auch von Menschen vertrauensvoll als richtig angenommen, die selbst diese Erfahrung gar nicht machten.

Mit Sprichwörtern wird häufig gemaßregelt, aufgefordert, getadelt, gewarnt. Man gibt seine Botschaften an den anderen Menschen weiter und versteckt sich oft ein wenig insofern hinter dem Sprichwort, als man seine Message mit der Allgemeingültigkeit stark zu untermauern versucht. Hat man ein Sprichwort auf seiner Seite, so fühlt man sich beim Tadeln oder auch einem gut gemeinten Ratschlag oft sicherer, als gebe man radebrechen die eigene Anschauung kund. Hier kommt die Kompetenz langer Erfahrung ins Spiel, warum die Sprichworte gern verwendet werden. Sie korrespondiert dazu oft mit Kürze und Klarheit und bringt das Gemeinte perfekt und präzise auf den Punkt. Weitere Erklärungen erübrigen sich. Das Sprichwort sagt alles, was zu sagen war. Dabei wirkt es unmittelbar und besitzt oft eine Kraft, als hätte es Jahrhunderte von Weisheit in sich gesammelt und konzentriert. Eine Essenz unzähliger Leben, die in eine Spontansituation hinein platzt.

Damit die Sache mit den Sprichwörtern aber nicht zu einfach daher kommt, haben sich die Menschen wieder komplizierte Dinge einfallen lassen. So zum Beispiel gibt es oft schwierige Überschneidungen oder auch klare Abgrenzungen zu Redewendungen, Bauernregeln, Geflügelten Worten oder Zitaten. Innerhalb des Genres wiederum kommt der Stabreim vor, der End- oder Binnenreim, die knappe Aussage, generalisierte Formen oder imperativische Ansprüche, die so schön mit "Man soll…", "Man muss…" beginnen. Diese eignen sich besonders gut für einen sogenannten Rat-Schlag mittels eines Sprichwortes, dessen Endsilbe "Schlag" nicht selten mentale Striemen im Gemüt hinterlässt.

Sozialkritische Hinweise, einfache Haushaltsregeln, Vorurteile, Religionskritik - manchmal gespickt mit spöttischer Lust, intrigierenden Elementen und einer guten Portion Humor und Lebensklugheit zieren jene knappen Sätze, die uns allen so lieb sind. Sprichwörter machen vor nichts halt und mischen sich in das gesamte menschliche Leben ein. Sie sind tauglich als mentale Schlagwaffen und können sowohl positives Staunen hinterlassen, die Lust am Nachsinnen oder seelische Beulen.

Gar lustig wird es da, wo sich die Sprichwörter gegenseitig widersprechen. Und spannend wird es zudem, wenn zugleich beides stimmt: "Gegensätze ziehen sich an" - "Gleich und gleich gesellt sich gern".

Ein Widerspruch der keiner ist! Eine Paradoxie, die nichts als die Wahrheit beschreibt. Von Fall zu Fall richtig anwendbar. Manchmal sogar zugleich. Eine vortreffliche Aufgabe an all die Menschen, die nun herausfinden wollen, warum beides durchaus stimmt.

— 07. August 2010
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