Geheimdienste im Visier

Über die Gründe der mangelnden Empörung. Von Christa Schyboll

Privatsphäre, Geheimnisse, Tabubezirke? … Wenn es sie überhaupt noch irgendwo gibt, dann höchstens bei den Geheimdiensten selbst. Aber auch das ist fraglich, weil gewiss dort interne Spitzel auf die eigenen Spitzel angesetzt sind. Wenn schon Paranoia, dann richtig!

Trotz der Lausch-Skandale mit Billionen illegal gesammelter Informationen über EU-Bürger von Seiten der USA und England gibt es bisher aber noch immer keine Massendemonstrationen gegen das Ausspionieren. Und der Grund dürfte relativ klar sein: Im Grunde haben es die meisten Menschen längst schon befürchtet oder gewusst, dass es nicht nur möglich ist, sondern selbstverständlich auch praktiziert wird. Deshalb war die Aufdeckung dieses Skandals nur eine Frage der Zeit. Alles, wirklich alles kann durch die globale Informationsvernetzung abgerufen und durchleuchtet werden. Das Private, die technischen Entwicklungen, die militärischen Pläne, die finanziellen Transaktionen. Vielleicht aber ausgerechnet nicht jedes wirklich raffinierte Verbrechen, das eben diese Ebene der Transparenz zu vermeiden weiß und deshalb noch immer funktioniert. Aber alles, was anständig, anstandslos, legal und gesetzlich einwandfrei ist, ist zugleich informelles Freiwild. Die Informationen haben wir Snowden zu verdanken. Doch wer wird deswegen verfolgt, weil er uns allen die Wahrheit beweist: Snowden! So funktioniert globale Paranoia perfekt. Der Überbringer der schlechten Nachricht wurde schon früher oft mit dem Tode bestraft!

Die politische Empörung europaweit wirkt eher kleinlaut und gespielt. Warum, wissen wir. Fast alle hängen mit drin. Auch eben der BND und gewiss auch die anderen Geheimdienste der Welt. Immer so weit, wie es ihnen finanziell, personell und technisch möglich ist. Moralische Maßstäbe werden nicht angelegt. In welchem genauen Ausmaß sich die Geheimdienste untereinander und uns alle bespitzeln, werden wir wohl nie erfahren. Und wenn wir es erfahren, sind schon wieder Zweifel an der Information angebracht. Und ob und wie genau ein demokratisch gewählter Präsident oder Kanzler von seinen Geheimdiensten vollständig oder eben nur „fast“ vollständig unterrichtet wird, weiß nicht einmal jener Personenkreis. Denn unter welcher Staatsführung die mächtigen Geheimdienstchefs ihren Job machen, dürfte so lange eine untergeordnete Rolle spielen, wie ihre eigenen Machtbefugnisse nicht beschnitten werden.

Und was ist mit der privaten Empörung? Sie spaltet sich in mehrere Untergruppen. Die einen haben schlicht und einfach andere, größere existentielle Probleme. Anderen wiederum ist es völlig schnurz, ob da ein anonymer Geheimdienst mitliest oder nicht, weil sie sich eh sicher sind, dass ihr Privatkram da niemanden ernstlich interessiert. Noch andere enthalten sich im Internet oder wissen sich anonymisiert zu schützen, weil sie zuviel Wissen über die Macht der Information und deren Missbrauchsmöglichkeit haben. Das kann gesunde politische Motive ebenso haben wie kriminelle oder terroristische. Nur eines dürfte doch klar sein: Bei den heutigen Spionagemöglichkeiten werden sich gerade Terroristen, die immer wieder neu zur Begründung des Spionagewahns angeführt werden, garantiert keine leicht zu knackende Emails schreiben, die ernstzunehmendes Potenzial für einen terroristischen Angriff enthalten. Und eine weitere kleine Gruppe privater Demonstrationsverweigerer fühlt sich vielleicht sogar geehrt, dass sie endlich einmal mit ihrer Person im Fokus einer fremden Macht steht. Dann ist man doch wenigstens wer! Man ist keine Null mehr unter Nullen, sondern hat seine Karriere der eigenen Bedeutung wenigstens schon einmal bis ins Dossier des Feindes geschafft. Viel Feind? Viel Ehr? Oder ist es Fatalismus, weil wir alle wissen, dass sämtliche von Menschen erfundenen Codes immer wieder neu geknackt werden? Haben wir Menschen in einer fernen Zukunft die totale Transparenz zu lernen? In Offenheit, Klarheit, Ehrlichkeit friedlich miteinander zu leben, ohne dass die Informationen missbraucht werden. Gewiss wäre das aber ein sehr weiter Weg. Er beginnt mit dem ersten Schritt. Derzeit sind wir bei Rückschritten. Aber vielleicht bekommen wir Menschen ja auch wieder einmal die Orientierung in die richtige Richtung?

— 11. Juli 2013
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