Wenn Streitigkeiten zum Drama ausufern

Flächenbrände oder kleine Scharmützel? - fragt Christa Schyboll

Es knistert. Lange kann es nicht mehr dauern, dann fliegen die mentalen Fetzen und anschließend knallen die Türen… nicht ohne vorher auch noch einmal verbal den Raum mit gegenseitigem Geschrei geschwefelt zu haben.

Von der kleinen Verbalattacke hinein ins heiße Zentrum der Beziehungshölle. - ausufernder Krach unter Partnern… oder Freunden…. oder Eltern und Kinder. Völlig egal! Die Kampfesszenarien können sehr ähnlich sein. Hier oder dort oftmals nur ein Minianlass, so lächerlich klein, dass man sich später kaum noch daran erinnert. Ein falsches Wort dazu vom anderen… und schon explodiert die kleine heile Welt und die eruptiven Protuberanzen der eigenen Seele schleudern das gewaltige Feuer ins Innenuniversum des Streitpartners.

Einige Zeit später. Das Feuer ist erloschen. Es hat sich quasi selbst erstickt. Keine Kraft ist mehr vorhanden für weiteren lauten Streit. Im Grunde lebt jetzt nur noch Sehnsucht nach Ruhe. Aber die Schuldfrage nagt dennoch ein wenig. Wer war denn nun schuld? Wer muss oder darf als Sündenbock denn nun herhalten? So ganz drüber hinweggehen, ist nicht drin – auch wenn man sich nach Harmonie bereits wieder sehnt. Doch die Explosionen haben immerhin so dicke Brandflecke auf dem eigenen Herz hinterlassen, dass zumindest noch ein paar innere Fragen anstehen.

Wer warf denn wem eigentlich was aus welchen Gründen vor? Hat man das tatsächlich vor der Eskalation mal ganz in Ruhe und fair untersucht? Oder ist man direkt auf den vermeintlichen Widersacher aufgesprungen, der seinen Finger zu heftig auf die eigene Wunde legte? Fühlt man sich nun als Sündenbock – oder fühlt sich der Streitpartner am Ende genauso? Immerhin: Jeder hatte kurzfristig einen echten Feind, was auf eine gewisse Lebendigkeit hindeutet. Tote streiten nicht mehr. Und Opfer haben letztlich auch beide gebracht. Die Inszenierung jedoch war mal wieder so großartig, dass am Ende sich jeder selbst verhindert hat. Was er zeigte, war vor allem seine Begabung zur Dramatik. Bühnenreife Stücke, die aufgrund mancher Themen schon tragikomisch anmuten. Manchmal jedoch sind es auch sehr ernste Probleme, die mit der gleichen Vehemenz inszeniert werden. Das steigert dann die Dramatik entsprechend. Die Entsorgung des eigenen seelischen Mülls auf einen gemeinsamen Haufen ohne nachhaltiges Recycling jedoch kann nur in einer übelriechenden Mentaldeponie enden. Vorwürfe ohne Ausweichmöglichkeit und hinein in den gemeinsamen Schmerz. Wenigstens diesen hat man fast schon in Harmonie gemeinsam – auch wenn alles andere in der Sache oder der Anschauung noch trennt.

Wie werden wir uns denn gegenseitig gerecht? – Jeder muss dabei zwar sein eigenes Rezept kreieren, aber als Grundbestandteil müsste in jedem Fall eine realistische Wahrnehmung des Streitpartners im Vordergrund stehen. Für jeden, versteht sich. Begreife ich, in welcher aktuellen Verfassung und Situation er gerade steckt und wo ich mich dabei selbst befinde und realisiere ich dann, was angesichts der bereits vorhandenen Stimmung überhaupt noch erträglich und konstruktiv ist, kann es gelingen, all diesen täglichen Kriegen zumindest die Spitze zu nehmen. Alle Scharmützel werden wohl nicht vermeidbar sein, weil kaum ein Mensch zu einer beständigen Wachsamkeit immer und jederzeit in der Lage sein wird. Doch die Chance, es nicht zum internen Flächenbrand kommen zu lassen, hängt elementar davon ab, ob eine ruhige Form von Wahrnehmung dessen, was gerade atmosphärisch den Raum bestimmt, in Klarheit realisiert wird.

— 26. November 2009
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