Bin ich ein Idiot?

Ein weiblicher Anachronismus in einer modernen Welt. Von Christa Schyboll

Bin ich ein Idiot? Nein. Aus dem Blickwinkel eines normal entwickelten, vor allem männlichen Jugendlichen mit durchschnittlicher Intelligenz bin ich kein Idiot, sondern ein Vollidiot. Und wenn sie es nicht immer direkt so gerade heraus sagen, zeigt es nur Restspuren von rudimentären Benimm-Erinnerungen, die derzeit noch greifen.

Ansonsten sehen sie in mir den Prototypen des weiblichen Anachronismus, dem man später eigentlich nicht einmal mehr Rente zahlen sollte, weil er sich Ressourcen schädigend zur Allgemeinheit verhält. Er nutzt nämlich die Hirne anderer Menschen für Dinge, die er selbst können müsste. Zum Beispiel Computer ausreichend kompetent auch bei kleinen Schwierigkeiten bedienen.

Nun arbeite ich zwar schon seit Beginn an und mit diesen Dingern, aber nutze sie halt in der Regel nur als erweiterte Schreibmaschine. Das bedeutet, dass mir 99,8 Prozent aller Funktionen geheimnisvoll bleiben. Genauer: unbekannt. Es wäre bösartig zu glauben, ich hätte mich in diesen gefühlten 0,2 Prozent Kenntnissen nicht dennoch ständig weiterentwickelt. Aber es ist leider auch nicht falsch zu behaupten, dass ich in der Tat bei Problemen auf die Denkleistung weiterer Mitmenschen angewiesen bin. Diese haben, wenn ich sie brauche, niemals Zeit. Aber welche Zeit ich auch vorschlage: Sie ist nicht vorhanden. Also kann ich nur noch betteln, drohen, feilschen. Das kostet Energie. Und natürlich kann ich schimpfen. Das wiederum braucht meine Seele. So nehme ich dann zur Seele meines Computers, der immerhin mein engster Mitarbeiter ist, tiefen Augenkontakt auf und halte ihn auch tapfer, wenn er an mir vorbei starrt. Ich bleibe am Ball, fixiere ihn und brülle ihn an, warum er verdammt noch mal meine ganze Arbeit hat verschwinden lassen, obschon ich ständig speichere. Warum kann ich plötzlich etwas nicht lesen, was Sekunden vorher lesbar und gut erdacht war. Warum funktioniert diese oder jene Funktion immer dann nicht, wenn ich vorsichtig die richtigen Tasten bediene? Ja, die richtigen. Und er tut es nicht! Er ist bockig! Er ist männlich! DER Computer. Er will’s mir zeigen. Und ich jammere, klage, wünsche eine alte Schreibmaschine her, für die es aber schon lange keine Farbbänder mehr gibt.

Ich bin in moderner Geiselhaft. All diese Mengen mit der Hand zu schreiben, hieße, mich vervierfachen zu müssen bei meiner Schreibgeschwindigkeit, die jedem Parlamentsstenographen zur Ehre gereichen würde. Dabei weiß ich nicht einmal, ob es diesen Berufszweig heute überhaupt noch gibt. Diese Frage lenkt mich gerade vom aktuellen Wutproblem über meinen dummen Computer ab, der es immer noch nicht drauf hat, sich selbst zu reparieren oder zu korrigieren, wenn er alles falsch macht, was ich richtig eingebe. Zur Beruhigung google ich nun meine innere Frage. Das lenkt die Wut um. Tatsächlich sind die Parlamentsstenographen im Deutschen Bundestag noch im Einsatz. 16 an jedem Sitzungstag. Sie lösen sich alle fünf Minuten ab. Was das beruflich bedeutet, weiß ich, da ich früher alles selbst in komplexen Sitzungen stenographieren musste. Ohne Ablösung jedoch, dafür mit drei vollen Blöcken am Ende und oft jede Menge Ärger. Parlamentsstenographen zeichnen nicht nur die Rede auf, sondern auch Beleidigungen, Beifall und dummdreiste Zwischenrufe aus dem anderen Lager. Dann diktieren sie es einem Mitarbeiter, der es dann auch in den Computer überträgt. Aha! Sie haben also nichts mit den Wirrnissen zu tun, mit denen ich mich hier herumschlagen muss. Das machen andere für sie. Und wenn die es nicht schaffen, gibt es einen Administrator, der sich auskennt.

Ich habe auch einen privaten Administrator. Er kennt sich hervorragend aus. Aber er ist trotz stattlicher Physis eine reale Imagination für mich. Denn er ist nie da. Und wenn er da ist, ist er auch nicht da. Denn er hat einfach keine Zeit. Von Zeit zu Zeit gibt er mir etwas Fresserchen zur Beruhigung. Dann spielt er mir neue Programme auf. Sein Ziel: Meine Verwirrung zu steigern. So lange, bis ich endlich meine ungeschickten Finger mit meinem unzureichenden Verstand einfach schlichteren Dingen im Leben zuwende.

Aber solange er mir nicht die Systemwiederherstellung blockiert, die ich immerhin beherrsche, wird sein Ziel ins Leere laufen.

— 14. November 2013
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