Smartphone für Ältere

Verbote und Benimmregeln für Heinrich69. Von Christa Schyboll

Heinrich ist 69 und noch recht rüstig. Er kann noch sprechen, Rad fahren und seine Versicherungspost selbst bearbeiten. Im Netz heißt er Heinrich69. Er ist neu dort zuhause. Aber er ist noch nicht so ganz auf dem neuesten Stand, wenn es um all die modernen Kommunikationsmittel geht. Denn er hat ein paar technische Generationen verpasst.

Heinrich weiß um seine Defizite und macht sich nach und nach schlau. Und was er nun liest, erstaunt ihn doch sehr.

So belehrt man ihn im Internet, dass man beim Eintippen von Nachrichten ins Smartphone zum Beispiel nicht auf Baumleitern gleichzeitig Äpfel pflücken soll, nur weil es gerade Herbst ist und diese reif sind. Auch muss man ihm offenbar ausdrücklich sagen, dass das Tippen beim Autofahren doch kleine Spuren von Aufmerksamkeitsverlust fordert. Das erstaunt Heinrich sehr. Also, dass man ihn darüber aufklärt. Er hatte niemals vor, solche Aktionen im gleichzeitigen Zusammenhang zu erledigen. Ganz offenbar scheint es aber Gründe zu geben, auf solche Selbstverständlichkeiten ausdrücklich hinweisen zu müssen. Dennoch beschleicht ihn der Verdacht, dass trotz seiner urzeitlichen Technikkenntnisse solche Tipps gar nicht für seine Generation gedacht sind. Seinem Enkel, der ihn mit dem Ding erst kürzlich beglückte, wäre das eher zuzutrauen. Äpfel klauen, ins Smartphone tippen und Salto rückwärts üben für den nächsten Stunt. Dennoch liest er in diesen lebenserhaltenden Sicherheitstipps noch ein wenig weiter. Sich schlau machen, ist ja nicht dumm!, meint Heinrich.

Damit Heinrich aber noch ein wenig länger lebt, schaut er nach, was das Netz sonst noch an Tipps bereit hält. Beispiel: ein Notfall auf der Straße. Man sieht etwas ganz Entsetzliches, schwerer Verkehrsunfall. Nun wird man im Internet ernsthaft aufgefordert, bei der Sichtung eines solchen Vorganges bitte nicht beim Vorbei-Fahren, Gucken, Erkennen, Realisieren auch noch zusätzlich wie wild auf dem Smartphone herum zu tippen. Nein! Man soll an den Straßenrand fahren und stehen bleiben. Heinrich ist beeindruckt über diesen Tipp.

Nachdem Heinrich die neuen Überlebensstrategien gelesen und verstanden hat, macht er sich mit seinen fast siebzig Lenzen auf und studiert nun auch noch die Benimmregeln. So erfährt er, dass es nicht nötig ist, dass er der ganzen Welt täglich neu mitteilt, was er zum Frühstück, Mittagessen, Abendbrot gegessen hat. Wie? Das soll er nicht mitteilen? Das wusste doch bisher auch niemand! Na eben! Heinrich vermutet hinter diesem Tipp eine Raffinesse junger Redakteure, die ihn nicht zum Zuge lassen kommen wollen, weil sie selbst im globalen Mittelpunkt stehen möchten. Ein Fall von Altersrassismus?, überlegt er leise? Auch soll Heinrich seine Musik nicht immer so laut stellen. Denn es gibt tatsächlich Menschen, die nicht ständig die deutsche Volksmusik hören möchten und vielleicht einen anderen Geschmack haben als er. Aha! Dann folgt der Tipp mit dem Kopfhörer. Von diesem Ding hat Heinrich schon gehört. Nur hört er eh nur Musik aus dem Radio, wenn er zuhause allein mit Adelgunde ist. Und die mag seine Musik. Wieder ein merkwürdiger Tipp, befindet er.

Weiter belehrt man Heinrich darüber, dass nicht jedes Gesicht fotografiert werden muss. Aber warum nicht? Hat nicht auch jeder Mensch einen Pass? Und sind nicht alle Menschen gleich? Warum soll Madonna denn öfter fotografiert werden als Adelgunde? Nein, das lässt sich Heinrich nicht nehmen. Er drückt so oft auf den Auslöser, wie er will. Das lässt er sich nicht nehmen. Und Adelgunde gefällt‘s.

Dann soll er am Essenstisch nicht telefonieren. Aber warum denn nicht?, fragt sich Heinrich. Schmeckt den anderen dann die Suppe nicht mehr? Es ruft doch eh keiner bei ihm an! Und wenn doch, dann mittags. Aber dann soll er nicht abnehmen dürfen? Heinrich bezweifelt, ob ihm sein Enkel damit eine wirkliche Freude gemacht hat. Eigentlich ist alles, was Spaß macht, verboten und was nicht verboten ist, ist so gefährlich, dass man dran stirbt.

— 02. November 2013
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