Mein letzter Wille

Über die Schwierigkeit, beim vorletzten Willen anzukommen schreibt Christa Schyboll

Schön wär's! Ich bin erst beim vorletzten Willen. Und der bedeutet: Ich will endlich meinen letzten Willen unter Dach und Fach bekommen.

Mich schaudert es, wenn meine Liebsten nach meinem Tod sich mit übervollen Aktenschränken inhaltlich abquälen müssen, nicht wissen, wo sie meine letzten Worte finden, die ich selbst noch nicht einmal gefunden habe, geschweige denn die Prozeduren, wie ich mir so meinen Abgang wünsche. Wüsste ich es doch nur selbst schon! Also stecke ich immer noch im vorletzten Willen und ärgere mich über mich selbst.

Jeder Mensch mit nur wenig Grips weiß ganz genau, dass er potenziell jede Sekunde sterben kann. So ist das nun mal. Auch wenn die Statistik mir bereits über fette 8 Jahrzehnte verspricht, so ist diesem Versprechen doch nicht unbedingt auch zu trauen. Denn dann hätte ich ja noch ein wenig Zeit. Stattdessen lese ich Todesanzeigen und sehe doch schwarz auf weiß, dass andere Mitmenschen, auch ohne Corona (das mir immer noch keine Angst macht) in viel früherem Alter ihr Zeitliches segnen. Also wäre keine Zeit zu verlieren, denn wer wird schon so alt wie Queen?

Apropos die Queen. Jetzt könnte ich vor Neid erblassen. Ihre zehntausend Akten fallen ihr garantiert nicht auf die Füße. Und Charles weiß jetzt schon, was er zu tun hat. Sie braucht sich weder ums Staatsbegräbnis zu kümmern noch ums Testament. Alles fertig. Sie hat ja ihren Stab. Ach, wäre ich doch bitte Queen. Allein schon dieser Organisation wegen.

Bei dieser Gelegenheit denke ich gerade daran, wie merkwürdig es ist, dass es noch Briten gibt. Ich erinnere mich sehr gut und sehr genau, wie dramatisch uns über Jahre (!) die unerträglichen Zustände nach einem Brexit geschildert wurden, die dann über die armen Briten (im Geiste, wie im Portemonaie) wie ein Tsunamie rollen. Alle tot! Und jetzt lebt sogar noch die Queen mit 96. Oder die Griechen. Jahrelang auf der europäischen Gazettentodesliste. Alle am Verhungern. Und sie sitzen immer noch in Tavernen und trinken Wein. Und Italien, und Portugal, und Spanien. Ich komme vom Thema ab. Aber es gehört schon auch ein wenig dazu, wenn man die Sache über sich hinausdenkt.

Also die Sache mit dem Letzten Willen ist umfangreich und komplex. Einäscherung steht. Leise Beerdigung auch. Aktenschränke noch voll und übervoll, obschon schon um 60 Prozent in den letzten Jahren reduziert. Immerhin ist eine Patientenverfügung gemacht. Aber das betrifft doch lediglich das Sterben und nicht meine vielen darüber hinaus gehenden Willensbekundungen. Mein Gott, warum will ich denn noch so viel! Ist es denn nie genug mit neuen Ideen? Und kommen nicht ständig auch wieder ganz neue und andere, wenn ich die alten entsorgt habe? Darauf kann ich doch selbst ein eindeutiges JA! sagen. Kommen sie. Man muss sie nur rufen. Gute, schlechte, tolle, verrückte, gefährliche, langweilige jedoch eher selten...

Vielleicht sollte mein Letzter Wille einfach nur lauten: Macht, was ihr wollt! Ist mir alles egal. Tschüss, war interessant mit euch allen...

— 15. Mai 2022
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