Überforderung

Weg mit dem geistigen Rost! – wünscht sich Christa Schyboll

Sie wissen ja alle, was Oxidation bewirkt und wie entscheidend der Sauerstoff bei dieser chemischen Reaktion ist. Betrachte ich nun die Menge des geistigen Rostes in einer beliebig zusammen gewürfelten Gruppe Menschen, so wiederum wird ersichtlich, dass den Hirnen jener Sauerstoff jedoch fehlt und das Ansetzen des geistigen Rostes in der mangelnden Durchblutung u. a. mit gesucht werden kann. Übertragen Sie das biologische Beispiel nun gern in eine Allegorie.

Es fällt zunehmend auf, dass die Kosten, die wir alle für unseren Lebenswandel in der Gegenwart zahlen müssen, sehr hoch werden. Vor allem, was die mentale Substanz betrifft, die uns nicht nur finanziell teuer zu stehen kommt. Als Tribut fordert sie vor allem eine Menge von Lebensqualität, die darüber entscheidet, ob wir eher als geistige Zombies unserem Ende entgegen sehen oder vielleicht doch jenen alten Weisen etwas näher kommen, die uns vormachen, dass es doch geht.

Zu keiner Zeit war die Überforderung des Geistes durch immer mehr und schnellere Eindrücke, Inputs, Befehle, Gesetze, Verordnungen, Notwendigkeiten, Anpassungsanforderungen usw. so überbordend wie derzeit. Es scheint, als sei bei unserem Lebenswandel nun eine Marke erreicht, an der es so nicht mehr weitergeht. Mehr und mehr Hirne kollabieren, auch wenn sie offiziell noch zu funktionieren scheinen. Völlig kerngesunde Menschen, die ihren Mann oder Frau in alltäglichen Mehrfachbelastungen stehen, klagen immer häufiger über kleine Aussetzer, Blackouts, Wortfindungsprobleme, Vergesslichkeiten. Jeder, der es gehäuft an sich feststellt, wird vom Nächsten damit getröstet, es sei doch normal… Das hätte doch jeder… wäre nicht der Rede wert. Der Stress und so!

Von wegen!... normal. Hier wird der hilflose Versuch unternommen, unsere kranken Strukturen, die uns alle immer weiter ganz automatisch in noch tiefere Abartigkeiten von Überlastungen aller Art treiben, für normal- sprich gesund – zu erklären, nur weil viele diesen Erscheinungen schon anheim fallen. Noch schlimmer jedoch ist es bei jenen, die es auch betrifft, aber die es noch nicht einmal wirklich wahrgenommen haben. Geradezu aberwitzig in manchen Fällen dieses Abstreiten, wenn zugleich bereits der Sensor für die kritische Selbstbeobachtung fehlt.

Hinzu kommen immer mehr Unsicherheiten, was die ehedem erworbenen Sicherheiten angeht. Werden wir das Alter meistern, also ganz profan existentiell gemeint? Wer zahlt die Renten tatsächlich, wenn es so weitergeht und nach dem Bankendesaster bald vielleicht ein globales Währungsdesaster droht, das alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt.

Geistiger Rost frisst sich durch unsere Synapsen. Unsere schnellen Verschaltungen „oxidieren“ mangels in diesem Fall Mangels Frischluft, die hier weniger chemisch als geistig gemeint ist. Frische, neue Gedanken sollten uns beflügeln, statt dass wir uns mit den Spielchen innerhalb kranker Strukturen abfinden, von denen wir sehenden Auges versklavt werden.

Hirnlüftungen wären gut. Die Dinge, die unliebsam sind, anders denken. Alternativen entwickeln und sich Verbündete suchen… Schafft man das, bevor man in die Demenz fällt, bleibt sie vielen vielleicht ja erspart.

— 18. November 2010
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