Übertreibungen, Lügen oder nur phantasievolle Ausschmückungen?

Über die Schwierigkeit der Glaubwürdigkeit in Beziehungen von Christa Schyboll

Wir spüren es, aber können es oftmals nicht beweisen: Wir werden gerade aktuell von jemandem belogen. Je nach Situation macht man dabei dann gute Miene zum bösen Spiel oder oft realisiert man es viel später und hatte beim Zuhören nur ein merkwürdiges Gefühl, das noch gar nicht richtig einzuordnen war.

Wir spüren es, aber können es oftmals nicht beweisen: Wir werden gerade aktuell von jemandem „belogen“. Damit ist nicht die klassische Lüge gemeint, sondern jene Form von „Lüge“, die einen Zusammenhang so total verzerrt darstellt, dass die Glaubwürdigkeit sich einfach nicht wirklich einstellen will. Je nach Situation macht man dabei dann gute Miene zum bösen Spiel oder oft realisiert man es viel später und hatte beim Zuhören nur ein merkwürdiges Gefühl, das noch gar nicht richtig einzuordnen war.

Kann man es in bestimmten Situationen aber nicht locker nehmen und steht dieser Jemand uns recht nahe, schmerzt dieser Vorgang. In gewisser Weise ist er sogar unabsichtlich beleidigend. Umso mehr, je weniger er wirklich mangels Zeugen besprechbar ist und auf einer anderen Ebene nämlich stattfindet: dem Gefühl… Denn es geht ja „nur“ um eine Empfindungswahrheit. Aber man spürt: Irgendetwas stimmt nicht!

Passiert das nur hin und wieder im Leben, muss man wohl von jenem durchschnittlich normalen Prozentsatz ausgehen, den jeder irgendwie und irgendwann zu ertragen hat. Oder umgekehrt, der sich hervorragend als Mutchance doch immer wieder bietet, dieses flaue und durchaus nicht beweisbare Gefühl des Anzweifelns dennoch offen anzusprechen. Dass man mit dem Zweifel an einer Aussage sich keine Freunde in aller Regel macht, sollte man vorher beachten.

Was findet in Wirklichkeit statt? Oft sind es zum einen „Begeisterungsanfälle“, Ausdruck von Freude zum Beispiel… So lange dies die Oberhand behält, mag man davon ergriffen werden oder auch nicht, man hat in jedem Fall eine große Toleranzbreite, weil die Freude im Vordergrund steht, auch wenn die Übertreibung einen dabei manchmal innerlich stutzen lässt. Aber nicht selten kippt so etwas auch schnell und man spürt, es ist noch was anderes dahinter: Zum Beispiel ein aktueller Kompensationsvorgang, der sich nun in Angebereien, Aufschneidereien, Wichtigtuereien, Aufgeblasenheit zeigt, die sich der Wahrheit schon sehr entfremdet hat, obschon sie auch keine direkte Lüge sein muss. Auch die Freude spielt noch eine gewisse Rolle, aber diese vorgespielte (oft selbst nicht realisierte) Übertriebenheit kann jenes Quäntchen Lächerlichkeit dann enthalten, die es auch wieder zum Einsturz bringt. Oftmals geht es dabei eigentlich auch nur um die geradezu wunderbare Chance zur Kompensation von Minderwertigkeitsgefühlen, die sonst so selten mal möglich ist. Sie dienen in der Regel auch gar nicht der Lüge als solchem, um etwas ganz Bestimmtes zu erreichen, sondern sie dienen quasi sich selbst: Die eigene Aufwertung durch das Erzählen eines Vorganges, der geradezu wieder „ungeheuerlich“, „phantastisch“ usw. war.

Und dann steht man da. Hin und hergerissen, einerseits natürlich die Freude teilen zu wollen und andererseits schon wieder voll zu checken, dass diese Freude schon wieder eine Art „Grenzverletzung“ deshalb ist, weil sie ihren reinen Charakter bereits schon wieder verloren hat. Solche Situationen sind nur selten wirklich benennbar. Man fühlt sie aber in ihrem Wahrheitsgehalt. Sie dienen uns allen als Spiegel und haben ihren Wert in der Selbstkontrolle, wo man sich fragen kann: Und zu welchen Gelegenheiten passiert es mir selbst? Unbewusst, spontan und zugleich keinesfalls… nur rein?

— 24. November 2009
 Top