Im Aufzug

Peinliche Augen-Blicke. Von Christa Schyboll

Ich meide Aufzüge. Zumindest dann, wenn es sich um gut erreichbare Stockwerke handelt. Manchmal ist man aber beladen oder die Etage ist sehr hoch. Manchmal ist es auch heiß oder man selbst ist müde. Dann sind Aufzüge ein Himmelsgeschenk. Zumal, wenn man alleine drin ist.

Das passiert mir jedoch selten. Meist sind doch zwei bis drei von meiner Spezies mit anwesend. Dann geht das Spiel los. Die Körpergröße entscheidet über den Vorteil. Ich bin eher klein geraten und deshalb im Nachteil, was das Spiel angeht. Das Spiel mit den Augen. Wohin damit. Wohin den Blick. Hat man zufällig ein Buch, eine Zeitung oder einen Papierschnitzel in der Hand, ist man fein raus. Dann wissen die Augen einen Ausweg. Hat man aber zumeist nicht. Meist bleibt ihnen nur das doofe Starren. Aber wohin? Zu wem? Auf was?

Die Größten haben die freie Auswahl. Sie können auf die anderen herabschauen. Die merken es zwar, aber schauen nicht zurück. Dann müssten sie hochschauen. Hochschauen hat so etwas Devotes. Wer mag das schon in diesen Zusammenhängen!

Ansonsten ist die Auswahl gering. Aber zehn bis zwanzig Sekunden Fahrzeit je nach Etage mit Ein- und Ausstieg tragen das Attribut einer gefühlten Unendlichkeit in sich. Viele entscheiden sich für die Anzeigetafel. Also auf meist über oder neben der Tür angebrachte Relais, das die Etage benennt. Das Kaninchen schaut auf die Schlange. Als würden wir alle gleich gebissen.

Augenflucht. Wenn wir unsere Augen auf einen der Mitfahrer richten, haben wir ein Entscheidungsproblem. Sollen wir lächeln oder neutral tun. Lächeln könnte missverstanden werden. Neutral tun sieht oft ziemlich motzig aus. Die Leute wissen nämlich meist nicht, wie sie ausschauen, wenn sie nicht lachen. Ihnen entgeht ihre eigene Wirklichkeit. Denn wenn sie in den Spiegel schauen, machen sie zumeist ein freundliches Gesicht, um sich selbst halbwegs ertragen zu können. Das ist Selbstschutz und in vielen Fällen gewiss sinnvoll.

Lächeln könnte wie Anmache wirken. Je nach Geschlecht und Typ. Oder übergriffig. Zumal, wenn das eigene Lächeln auf eine gefrorene Miene trifft. Und die meisten wirken tatsächlich wie gefriergetrocknet. Emotionslos. Aufzugsroboter. Es sei denn, sie kennen sich. Dann wiederum ist man der Außenseiter. Der Zombie, mit dem keiner spricht, während die anderen…

Die ganz Mutigen sprechen sich an. Selbstverständlich brauchen sie sich nicht zu kennen. Sie plappern drauf los. Egal was. Hauptsache, die unangenehme Stille überbrücken! "Ach, ist das heute heiß!" Oder "Brrrr… endlich kommen wir ins Warme!" Dumme Aussagen? Natürlich. Aber darum geht es nicht. Es ist Kontaktversuch. Leben will zu Leben. Leben will kein Roboterdasein. Will nicht nur von der Technik hin und her geschaufelt werden. Von einer Etage zur anderen. Als wäre man ein Mehlsack. Immerhin sind wir Menschen. Aber manchmal sind wir uns gegenseitig peinlich. Nur weil wir so da herumstehen. Wir sind so entsetzlich gleich. Die sonstigen Machtattribute zählen nicht, weil er andere nichts von ihnen weiß. Man ist lediglich eine körperliche Beförderungsmasse. Daran krankt man. Aber das realisiert man nicht. Wir sind uns peinlich, wie wir uns jetzt plötzlich sehr nahe kommen. Häufig auf Tuchfühlung. Manchmal sogar auf direkter Hautfühlung. Nasser Arm an nassem Arm. Wie unangenehm! Sprache überbrückt. Auch den Schweiß des anderen. Oder seinen Geruch. Man fühlt sich erleichtert, wenn endlich die Türen aufgehen. Und man ist entsetzt, wenn es dann aber nur Zusteigende gibt…

Doch wo ist die Lösung? Locker sein, locker werden! Das verkürzt die Sekunden. Das verhindert die peinlichen Momente oder überbrückt sie zumindest für das zappelnde Gefühl. Machen Sie einen Witz! Sagen Sie was Saudummes. Outen Sie sich als Mensch. Machen Sie notfalls den Anfang, die unangenehme Enge durch eine gefühlte Verkürzung der Zeit ein wenig angenehmer zu gestalten. Steht man zu sich selbst, wie man ist, ist es leichter…

— 23. August 2013
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