Tomatensaft

Warum verhalte ich mich selbst so merkwürdig?, hinterfragt Christa Schyboll

Beim letzten Flug hab ich es schon wieder getan. Etwas, was ich das ganze Jahr nicht tu. Ich habe mir Tomatensaft bestellt. Dass ist deshalb außergewöhnlich, weil ich zuhause niemals Tomatensaft trinke oder je kaufen würde. Warum aber immer im Flugzeug?

Verhalte ich mich wieder einmal merkwürdig, so bin ich zumindest wachsam genug, meinen Schrullen hin und wieder auf die Schliche kommen zu wollen. Es muss einen Grund geben, warum ich das tu. Aber ich kannte ihn bisher nicht.

Seit es Suchmaschinen gibt, kann man all diese persönlichen Grillen endlich auch hinterfragen, ohne einen Arzt oder Psychologen deshalb kontaktieren zu müssen. Warum also tu ich das? Die Recherche brachte interessantes zu Tage, das vielleicht auch den einen oder anderen Leser hier tangiert, falls er selbst solche merkwürdigen Ausnahmeerscheinungen an sich feststellt:

So haben Ernährungswissenschaftler herausgefunden, dass in der Luft über den Wolken viel mehr freie Radikale umher schwirren. Das sind oxidative Substanzen, die uns überhaupt nicht gut tun und gegen die sich der Körper automatisch wehrt.

Meiner offenbar auch. Lycopin schützt dagegen. Das wiederum kommt besonders häufig in Tomaten vor. Außerdem kommen reichlich die Vitamine A und C in Tomaten vor. Ist meine Körperweisheit wieder einmal schlauer als ich selbst und schützt mich unbewusst mit diesem Jibber nach dem roten Saft? Ich traue es ihr zu. Aber so ganz traue ich dem Braten dennoch nicht, da die Lust auf Tomatensaft schon sehr früh im Flugzeug beginnt, kaum dass der Start begonnen hat.

Ein anderer Erklärungsversuch, der noch nicht wissenschaftlich untermauert ist, klingt für mich noch plausibler. Unsere Geschmacksnerven leiden beim Unterdruck in Flugzeugen. Den wollen sie gern kompensieren mit kräftiger Würze, mit Pfeffer und Salz. Und in der Tat ist es so, dass ich dann auch den Pfeffer noch draufstreue und gar nicht genug davon bekomme.

Also vielleicht eher ein psychologischer Trick, der dahinter steht? Nehme ich vielleicht auch nur deshalb Tomatensaft, weil er mir in irgendeinem Flugzeug irgendwann mal gut geschmeckt hat? Weil erstaunlich viele Fluggäste dazu greifen und ich in ein unbemerktes Nachahmungsverhalten komme?

Fakt bleibt: Auf dem harten Boden der Tatsachen nach der Landung schaue ich keinen Tomatensaft mehr an – bis zum nächsten Flug.

— 07. August 2012
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