Trau, schau, wem

Über Vertrauen und Misstrauen in Zeiten von Fake News, von Christa Schyboll

Fast jeder kennt das Sprichwort: Trau, schau, wem…. Die Zahl, die jedoch auf Anhieb auch den Ursprung zu sagen wüsste, ist wohl etwas geringer. »Trau, schau, wem?« Es handelt sich um die Schlussworte der Fabel »Der Löwe und die Ziege« von Äsop. Der Löwe preist das gute Gras neben sich an, doch die Abstand haltende Ziege durchschaut seine Absicht, sie zu fressen. Kluge Ziege, wird sich der Löwe ärgern. Klüger als viele Menschen.

Doch die Zeiten sind andere geworden. Zwar wurde schon immer auch verführt, getrickst, gelogen und betrogen, doch die Methoden änderten sich im Laufe der Menschheitsgeschichte. Die Entwicklung der Klugheit kam leider der Raffinesse nicht hinterher… wie ich das so sehe. Fakten und alternative Fakten, Narrative, Fantasien und gezielte Manipulationen geben sich ständig die Türklinke in die Hand.

In unserer medial (teils heftig verseuchten) Welt von Fake News, Verschwörern, angeblichen und tatsächlichen Verschwörungstheorien und den dazu passenden Verschwörungspraktikern, weiter von Beschwörungen, Gaukeleien, politischem Abrakadabra, Schwüren und Meineiden ist es unglaublich schwierig geworden, gerechtfertigt zu vertrauen. Wem denn noch? Am Ende nur noch sich selbst? Und wo das nicht mehr klappt, weil die Desorientierung inmitten der Vielfältigkeit verzweifelt groß ist?

Für jene, die sich bequem und wohlig und erbarmungslos naiv in die Fänge der Meinungsmacher einlullen lassen oder die fatalistisch zwischen ihren eigenen Krisen dümpeln oder einer himmelhochjauchzenden Romantisierung das Wort reden, weil sie anderes als Geschöntes und Getünchtes eh nicht ertragen, ist das alles kein Problem. Sie vertrauen oder glauben blind. Wem? Jedem der nett zu ihnen ist, ihnen das sagt, was sie gerne hören wollen, was zu ihnen passt, was sie schon verstehen… Und das ist oft wenig genug.

Ist es die Masse? Ich weiß es nicht. Ich denke, es gibt in der Masse neben Berufsskeptikern und Hellwachen auch eine ganze Reihe von Zweifler, Desorientierte, Suchende, Wahrheitsdürstende, die in schweren Zeiten leben. Denn was soll man denn glauben, wem vertrauen, wenn selbst ausgewiesene Fachleute aller Coleur oder Wissenschaftler mit gleichen Ausbildungsvoraussetzungen sich vehement in der Sache selbst widersprechen? Egal, welches Thema man anfasst: Immer gibt es Experten und Gegenexperten, die von der Sache her meist informierter, gebildeter, gewiefter sind, als man es selbst sein kann.

Eine Meinung zu allem zu haben, ist jedermanns Recht und bedient wohl eher die Lust als einen tatsächlichen Wert. 82 Millionen Bundestrainer, Bundeskanzler und sonstige Bundesfuzzies zählt unser Volk, wenn es um Meinungen geht. Urteilsbefähigt zu sein ist eine ganz andere Kategorie. Während im ersten Fall der hohle Bauch, das Ego, die eigene Emotion, Bedürftigkeit oder Lust das Zepter über die persönliche Haltung führt, ist im Falle von Urteilskompetenz jede Menge Vorarbeit zu leisten. Das ist anstrengend(er). Denn es braucht die Fähigkeit der Distanz, des klaren Denkens, viel Wissen und Information, Fairness in der Sache und viele andere Voraussetzungen, um ein Urteil so abzugeben, dass sich die eigene Kompetenz herauskristallisiert. Ein schwieriges Unterfangen, wenn man diesem Anspruch Genüge tun will und zugleich von allen Seiten mit Pro- und Contra gegen was auch immer bombardiert wird.

Der Beeinflussung von außen (Nachrichten, Medien, Fernsehen, Social Media usw.) entgeht fast niemand. Wir sind also niemals voraussetzungslos, wenn wir uns einem Thema ernsthaft stellen. Jetzt stellt sich schon die Frage: Vertrau ich demjenigen, der sympathischer rüberkommt und damit vertrauenserweckend auf mich wirkt, wenn sich da zwei Kapazitäten widersprechen und ich mich entscheiden will? Vertraue ich dem, der rhetorisch wesentlich schärfer zu formulieren weiß und damit überzeugender wirkt? Die Liste der Argumente könnte nun weiter fortgeführt werden. Doch was sind das alles nur für brüchige Stege aus modrigem Holz über den reißenden Wassern des Geistes!

Wir leben im Zeitalter des Spezialistentums. Da reicht eben eine solide Allgemeinbildung nicht mehr aus, wenn man zu einer adäquaten Urteilsbefähigung in einer Sache kommen will. Nicht umsonst hat das Riesenheer unserer Beamtenschaft zudem noch ein Riesenheer teurer »Berater« die es besser wissen (müssten) und die die Richtlinien eines jeden Themas in der Politik mitbestimmen. Dass diese Berater und Experten wohl nur in eher wenigen Fällen tatsächlich unabhängig und »frei« sind, glauben die meisten – weil eben Lobbyisten. Und Lobbyisten verdienen sehr gut, konzentrieren Macht und wissen sie geschickt zu gestalten. Vor allem, wenn sie politisch erfolgreich an der richtigen Stelle ihre Sache vertreten. Welche Sache? Jede. Alles, was irgendwie gesetzlich geregelt, gemaßregelt, finanziert, ausgegeben wird… Rüstung, Gesundheitspolitik, Wirtschaft, Immobilien, Ernährung, Fußball, Arzneimittel, Kinderspielzeug, Chemieprodukte… einfach alles, was zum menschlichen Leben gehört.

Letztlich werden wir, dank dem Heer lobbyistischer Berater in allen Belangen nicht von denen regiert, den »wir« gewählt haben, sondern von denen, die von den »uns« gewählten dann wieder bezahlt werden für das, was ihnen und ihren Auftraggebern dient. So ist das nun mal in einer Demokratie. Und in der Autokratie, Diktatur, Regime? Da ist es ähnlich, stellt sich nach außen nur anders dar. Wir hängen so oder so in den Fängen uneiniger Experten, was es in vielen Fällen schwierig macht, Vertrauen zu fassen, wenn man klaren Blickes sieht, was seit Jahrzehnten alles schiefläuft. Wer diesen Blick ausreichend tief und gründlich wagt, steht oft im Gruselkabinett. Das Schwarzbuch der Steuerverschwendung von Milliardensummen deckt dabei nur einen Teil des öffentlich finanzierten Irrsinns ab, ist faktisch bewiesen und nachzulesen. Erfolgreiche Lobbyistenarbeit bei erfolglosen Beamtenscharen.

Wo informiert man sich denn am besten? Bei der (schwer zu ortenden) kritischen Presse? Auch die hat Lager, wenn man sie denn erst einmal in der vielfach gleichgeschalteten Presselandschaft des Mainstreams überhaupt findet. Und solange die nötige Portion Angst und niedere Instinkte nur ausreichend und täglich frisch medial in Wort und Bild und vielen "schönen Geschichten" bedient werden, ist das mit der Lust am kritischen Denken auch nicht sonderlich weit her. Man hat ja schon seine Portion zum Verdauen… und sei es informeller Mist (der anschließend jedoch nicht zum Düngen taugt).

Was also bleibt dem Otto Durchschnittsbürger ohne jeden Zugang zu den Geheiminformationen aller Seiten? Vertraut er sich denn schon selbst bedingungslos? Oder weiß er um seine eigene Begrenztheit und macht sich damit redlich die Sache des Vertrauens oder Misstrauens noch schwerer?

Vielleicht ist mit dem Selbstvertrauen anzufangen: Kritisch und selbstkritisch sein, hellwach, aufmerksam, wirklichkeitsgemäß und hoffen, dass all das berechtigte Misstrauen letztlich nicht auch die letzte Lebensfreude kostet. Denn ohne diese zu leben ist das Leben nicht lebenswert. Mit anderen Worten: Ohne Vertrauen ist schwer zu überleben.

— 29. April 2022
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