Täuschungen

Von den Problemen in einer Scheinwelt. Von Christa Schyboll

Die Welt ist Maya. Ein Schein. Abglanz einer höheren Wirklichkeit. Eine Camouflage auf der Ebene von Materie, die aus nichts als aus leeren Atomen besteht. Aber der menschliche Geist formt kollektiv daraus Welten.

Bis noch vor wenigen Jahrzehnten konnte jeder in dieser angeblich oder de facto selbst gebastelten Scheinwelt als Mensch dennoch gut leben, weil das, was wir sahen, auch andere genauso sahen. Wir konnten uns darüber einigen, wann eine Linde eine Linde ist oder ein Autoreifen ein Autoreifen. Zwar kannten wir schon Fernsehen, das uns bewegte Bilder anderer Menschen in einem kleinen Kasten zeigte, aber wussten dennoch gut die Wirklichkeit vom Schein zu unterscheiden. Damals war die Welt noch in Ordnung.

Dies verwischt sich immer mehr. Aufgrund beeindruckender technischer Möglichkeiten ist unsere Maya-Welt noch "unwahrscheinlicher“ geworden und wird zugleich aber als wirklich und real erfahren. Fast scheint es so, als badeten wir in einem Meer von wahrscheinlichen Möglichkeiten, was die Wirklichkeit des Erlebten angeht. Heute kann man mit diversen Mitteln die Sinne des Menschen so unglaublich täuschen, dass selbst die Wissenschaft, die sich nüchtern einem Phänomen nähert, mehr und mehr rätselt, was das ist, was sie da wahrnimmt.

Nun wissen wir zudem, dass sich ein wahrgenommenes Objekt nicht nur verändert, in dem es der Beobachter beobachtet, sondern auch der Beobachter selbst. Sprich: Sobald eine Aktion stattfindet, zum Beispiel ein Beobachtungsvorgang, ist er auch schon vorbei und nur noch relativ gültig - je nach welchen strengen Maßstäben wir hinschauen.

Handelt es sich um Bilder, die mit einer Kamera gemacht werden, ist heute schon gar nichts mehr zu beweisen. Absolut alles kann dort manipuliert sein. Auch die NASA mit all ihren beeindruckenden technischen Möglichkeiten, ist da in einem Dauer-Dilemma, wenn sie sich selbst etwas beweisen will. Strahlungen jeglicher Art, problematische Aufnahmetechniken auf dem allerneuesten Stand, optische Täuschungseffekte, die keiner will und die aber scheinbar unvermeidbar sind, sind an der Tagesordnung. Das heißt aber nichts anderes: Man kann letztlich nichts sagen, selbst dann nicht, wenn man scheinbare Beweise in der Hand hat, die der eine akzeptiert, der andere verwirft.

Die Welt der Täuschungen ist erst am Anfang. Im Netz lernen wir gerade besonders gut, wie sehr wir auf allen Ebenen manipulierbar sind. Das betrifft die Sinne wie auch das Denken und Fühlen. Ich frage mich ernsthaft: Haben die Menschen jemals seit ihrer Entstehungsgeschichte weniger von sich selbst gewusst als heute? Denn je komplexer unser Wissen über uns wird, umso tiefer erfahren wir auch, wie unglaublich schnell wir uns an allem irren können, zu Fehlschlüssen kommen und die Welt schon immer ganz anders war als wir sie bisher interpretierten. Und das alles nur, weil unsere Sinne und unser Denken und Fühlen so schrecklich unzuverlässig sind. Aber das ist kein Wunder, wenn man bedenkt, wie ungeheuer groß noch der Anteil der noch nicht genutzten Hirnareale im Menschen ist.

— 03. Mai 2012
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