Was ist Wahrheit?

Über die Schwierigkeit einer Annäherung. Von Christa Schyboll

Sie wissen es nicht? Dann machen Sie es wie ich und schauen einfach mal in Wikipedia – dem spannendsten Lexikon der Welt. Sie werden zu diesem Begriff nicht weniger als 33 DIN A 4 Seiten Erläuterungen lesen, die vor allen Dingen eines gemeinsam haben, unendlich viele blaue Links, die das dort Geschriebene nochmals auf viele andere Weisen stützen, argumentieren oder untermauern.

Sich dem Studium der Wahrheit lesend also hinzugeben, braucht eine große Geduld, viel Lesen, Philosophie und Theorie. Und dann? Ist man dann der Wahrheit wirklich ein Stück näher gekommen? Rein intellektuell vielleicht schon – man weiß jedenfalls mehr als vorher, so man sich das Gelesene behalten konnte.

Aber das reicht nicht, um sich der Wahrheit zu stellen. Vor allem braucht es den Gegenpart, an dem sie überhaupt erst erkannt werden kann. Und das ist die Lüge. Und diese wiederum braucht einen Menschen, da die Natur sich der Lüge „verweigert“. Sie arbeitet maximal mit der Raffinesse der Tarnung. Aber selbst wenn die Lüge erkannt und entlarvt ist, kann die Wahrheit immer noch weit entfernt sein, da sich Wahrheit nicht als feste Bezugsgröße festnageln lässt. Sie ist ein nicht zu greifendes Etwas, das sich vor allen Dingen einem bedient: dem individuellen Bewusstseinslevel… an dem es sich festmacht. Zumindest wenn es um die Wahrheit zwischen Menschen geht und die klare Gegenständlichkeit oder Gesetzmäßigkeiten verlässt.

Je nach Entwicklungsgrad einer Persönlichkeit wird Wahrheit also sehr verschieden wahrgenommen. Dabei handelt es sich bei der Wahrnehmung aber immer um die Wahrheit des Individuums zum entsprechenden Zeitpunkt, die zu einem anderen Zeitpunkt unter anderen Bedingungen wieder anders sein kann. Was heute wahr ist, kann morgen weniger wahr sein oder relativ, je nach dem um was es sich handelt. Es mag auch unverrückbare Wahrheiten geben, über die sich alle Menschen einig sind, wie z.B. dass eben die Sonne scheint wenn sie scheint… oder das Gesetz der Schwerkraft und oder die Farbe rot – mit allen ihren wahrhaftigen Zwischenfarbspielen und den zugleich schon schwierigen Abgrenzungen.

Das Ringen um die Wahrheit ist seit Menschengedenken jedoch ein Feld, wo Tod und Teufel nicht gescheut wurde, um ihr nahe zu kommen, sie zu „beweisen“… Oft gibt es solche Beweise auch, aber die gleichen „Beweise“ können an anderer Stelle auch wieder zusammenbrechen, wenn man ganz neue Aspekte oder Betrachtungsweisen hinzu nimmt und nun unter einem völlig veränderten Fokus von Gewichtung das GLEICHE nochmals betrachtet. Zum Beispiel auch eine Motivlage oder tief versteckte Hintergründe, die man vorher nicht wissen und damit berücksichtigen konnte. Schillernd, dieses Ding „Wahrheit“! Auch flüchtig und schwer greifbar. Eine ständige neue Herausforderung nicht nur an unseren Verstand, sondern auch an unser Herz, unsere Phantasie oder unsere Fairness.

Überhaupt steckt die Problematik immer im Subjektiven. Insofern wird die Sache mit der Wahrheit eine immer komplizierte dann bleiben, wenn zwei individuelle Persönlichkeiten im subjektiven Empfinden einfach unvereinbar weit auseinander stehen. Eine Wahrheitsverständigung auf EINE Wahrheit kann es dann praktisch oft nicht mehr geben, sondern die Toleranz, jedem seine eigene Wahrheit zu belassen.

— 19. November 2009
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