Brasilien probt den Aufstand

Fußball, Erwachen und die Sache mit dem überspringenden Funken! Von Christa Schyboll

Brasilien und Fußball sind eine Einheit, über die man weiter keine Worte zu verlieren braucht. Die Fußballweltmeisterschaft in diesem Land hat somit eine besondere Bedeutung, die aber nun auch interessante politische Markierungen bekommen hat.

Brasilien erwacht. Die Brasilianer stehen auf. Gewiss auch angesteckt vom arabischen Frühling, der seine eigene Zitterpartie noch keineswegs beendet hat. Überspringender Funkenflug? Die Brasilianer proben zunächst in ersten Teilgebieten erfolgreich ihre politische Macht per Demonstration. Die wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten zwischen Südamerika und den arabischen Staaten sind völlig verschieden. Ähnlich aber ist der Ernst des Volkes, das sich zur Wehr gegen Missstände setzt.

Dilma Roussef lenkte mit den ersten Forderungen ein, obschon Sozialpolitik und die Wirtschaft im Verhältnis zu anderen lateinamerikanischen Ländern recht gut da stehen. Aber solche Verhältnismäßigkeiten sind eben auch relativ. Und das weiß das Volk ebenfalls. Es weiß sehr genau um die Verschwendung öffentlicher Gelder für gigantische Stadien, die vermutlich nach der Fußballweltmeisterschaft in kurzer Zeit ähnlich finanziell verwaist sein werden wie in Südafrika, was die Amortisation der Sache betrifft. Auch dann, wenn sich die Clubs selbst weiterhin an ihren schönen Stadien erfreuen mögen. Es geht um Abermilliarden, die für ein Ziel verpulvert werden, das angesichts der realen Not zum Himmel schreit. Nicht der Fußball, auf den sich alle freuen oder Bau der Stadien grundsätzlich steht auf der Agenda des Protestes, sondern vor allem die Gigantomanie, die dort damit betrieben wird. Aber eben auch die grassierende Korruption im Staat als solche, die Millionen auf die Straßen treibt mitsamt den vielen ungelösten Problemen.

Die Menschen wollen keinen weiteren ökologischen Massenraubbau, die Vertreibung der Ureinwohner aus den Fördergebieten der Rohstoff-Felder, die marode Infrastruktur, Gesundheits- und Bildungswesen. Dass sich der neue Massenprotest auf dem nächsten Kontinent nun kurz vor der Weltmeisterschaft an den Fahrpreisen für öffentliche Busse entzündet, ist ein Fanal oder auch ein Synonym. Das Reichtumsgefälle in Südamerika ist enorm. Die immer genaueren Daten, die Menschen auch aus dem Internet ziehen können, schärfen das Bewusstsein für den eigenen Mangel und die Ungerechtigkeit, auf dem er gründet.

Man darf gespannt sein, wie die soziale Bewegung für eine gerechtere Umverteilung in einem Land, das einem Kontinent in seinen Ausmaßen ähnelt, die Zügel in die Hand bekommt und ob es ein politisches Strohfeuer oder ein Flächenbrand wird, der auch die Zustände anderer lateinamerikanischer Staaten und ihre Regierungen herausfordert.

— 10. Juli 2013
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