Leuchtende Schafe

Zwischen Nacktfotos und schlappen Batterien wühlt Christa Schyboll

Der Morgen begann gut. Der Kaffee duftete, die frischen Brötchen standen bereit. Die Tageszeitung (nein, nicht jene, die „bildet“) wartete auf meine neugierigen Augen, die frische Informationen an den Cortex ceribri zu leiten bereit waren, … wenn es sich denn lohnt.

Die Überschrift auf der „Panorama-Seite“ bestimmte die Meldung über Nacktfotos von Kate und ihr juristisches Nachspiel für die französische Presse. Diese Neuigkeit blitzschnell an die Großhirnrinde zu senden lohnte sich wahrlich nicht, obschon das Foto von Kate bei Nacht überaus entzückend war. Aber was soll mein weibliches Hirn mit einer schönen jungen Frau im Kopf!? Darunter sorgten dann „schlappe Batterien für Pannen“ mit Gemotze vom ADAC, der eigentlich Wichtigeres zu tun hat, für andere Schlagzeilen. Auch hier verließen meine suchenden Augen schnell die Druckerschwärze und wanderten jedoch höchst interessiert zu einem leuchtenden Schaf!

Spätestens dieser Anblick katapultierte mich in die vollständige Wachheit des frischen Tages und in eine Wirklichkeit, die mich das Gruseln bereits vor dem ersten Bissen lehrte. Genmanipulateure hatten es einmal wieder geschafft! Sie haben diesmal ein in der Dunkelheit leuchtendes Schaf „erschaffen“. Ein höchst lebendiger tierischer Taschenlampenersatz für die überaus dunkle Pampa in Südamerika oder die Hochebene von Anatolien, wo bis heute noch immer eine Unterversorgung mit ordentlicher Straßenbeleuchtung zu beklagen ist. In Uruguay durfte es laut Zeitungsmeldung das Licht der Welt erblicken. Meine Tageszeitung belehrte mich auch über den tiefen Sinn dieser Kleinmeldung, die eben auf der letzten Seite zwischen Oliver Pocher, Gaby Köster und eben unserer schönen Kate zu finden war. Nämlich der, dass das phosphoreszierende Schäflein doch den Hirten mit Sehproblem nun ebenso wie Nacht aktiven Viehdieben das Leben erleichtert würde. Erreicht wurde dieses bizarre Ergebnis, in dem man phosphoreszierende Quallen-DNA mit dem Erbgut des armen Schafes offensichtlich sehr erfolgreich gekreuzt hatte.

Die Meldung mit dem Hinweis auf kurzsichtige Hirten und gestresste Viehdiebe bei Neumond sollte wohl ein wenig satirisch klingen. Vermutlich hat sie tatsächlich eine Reihe von Menschen zum gedankenlosen Lachen angeregt, weil das leuchtende Schaf ja irgendwie auch „putzig“ aussah, wie es so strahlendhell aus seiner Wolle uns lieb schaute.

Und hier beginnt der zweite Teil des Skandals, der medientechnischer und massenpsychologischer Natur ist. Dass gewissenlose Genwissenschaftler auch weiterhin alles Irrsinnige versuchen werden, was irgendwie nur durch Manipulation machbar ist, wird man wohl leider nicht verhindern können, da kein Mensch einen Überblick über geheime Labors in aller Herren Länder hat.

Dass aber die Masse der Menschen in Sachen Genmanipulation und ihrer enormen Gefahren wie auch ethischen Problematik immer mehr in eine Laissez-faire-Haltung verfällt, zu der solcherart Nachrichtenaufbereitung Vorschub leistet, und dass damit jede aufkommende Rest-Empörung dann schon im Keim erstickt wird, wenn uns der Lacher darüber mundgerecht zum Frühstück als Alternative angeboten wird, sollte alle Alarmglocken in uns schrillen lassen. Hier geht aber offenbar keine Warnlampe mehr an. Hier, wo es aufleuchten sollte, bleibt es still und dunkel im Menschen. Wir haben uns ja schon dran gewöhnt. Es ist bereits so normal, dass wir die Tiere nicht nur quälen, sondern auch in abartiger Weise für völligen Unsinn missbrauchen, nur um dem wissenschaftlichen Spieltrieb keine Handschellen anzulegen. Die Pläne zur Reaktivierung ausgestorbener Säbelzahntiger und anderer Urmammuts sind auch schon weit gediehen! Und dass solche Meldungen eben nur noch „unter Verschiedenes“ in geradezu lustiger Manier zu lesen sind, wo ansonsten der Klatsch der Welt seine tägliche Heimat hat, zeigt, wie unsere Medien bei diesem bösen Spiel ebenfalls bedenkenlos mitmachen.

Es ist ja alles sooo lustig, wenn bald des Nachts nun tierische Taschenlampen über die Wiesen stolpern und auch hungrige Wölfe ihr Wänzlein ein wenig schneller voll hauen dürfen! Ob deren Fell in der Magengegend dann wiederum angesichts des leckeren Leuchtschafs auch wieder zur weiteren Erhellung der Wildnis in der Nacht beiträgt, wurde nicht verraten. Aber es ist ja auch nur ein weiterer irrer Test, der gelungen ist!

Verlernen wir den kritischen Blick auf Nachrichten? Wollen wir lieber belustigt auflachen, statt uns mit anstrengender Empörung auseinandersetzen, die am Ende sogar noch eine Handlung von uns als Konsequenz erfordert, wenn wir uns am Ende noch selbst ernst nehmen?... Oder ist es nicht einfach schöner und bequemer, schnell diese Abartigkeit am frühen Morgen nun umzublättern? Immerhin lockt der Sportteil der Zeitung mit erfreulichen Zeilen über das Bayern-Borussen-Märchen in der Champions league.

— 27. April 2013
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