Zeit

Eine Hilfskrücke in unserer Dimension?, fragt Christa Schyboll

Man komme mir nicht mit Uhren, wenn man was Tatsächliches über die Zeit erfahren will! Allein schon der Begriff der Tatsächlichkeit im Zusammenhang mit Zeit ist schon wieder ein Joke.

Doch der Reihe nach und zuerst ganz verständlich: Zeit als physikalische Größe beschreibt die Abfolge von Ereignissen. Im Gegensatz zu anderen physikalischen Größen hat sie eine eindeutige, unumkehrbare Richtung. Ein Fortschreiten der Gegenwart von der Vergangenheit her kommend zur Zukunft hin.

Nehmen wir die Raumzeit und die Relativitätstheorie, dann ist die Gegenwart nur in einem einzigen Punkt definierbar. Andere Punkte der Raumzeit, die weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft liegen, werden als raumartig getrennt von diesem Punkt bezeichnet. Verlassen wir die Welt dieser Formel und wenden uns der philosophischen Frage der Zeit zu, so kommen wir nicht umhin nach ihrem Wesen zu fragen. Hier steht das menschliche Bewusstsein im Zentrum und die von ihm wahrgenommene Form der Veränderungen oder der Abfolge von Ereignissen. Geistesgrößen wie Platon, Aristoteles, Leibnis oder Bergson haben sich in unterschiedlicher Weise dieser Richtung der Zeit angenommen.

Heute vermuten wir aufgrund unserer alltäglichen Erfahrungen, dass Zeit auch unabhängig von bewusst wahrgenommenen Objekten und ihrer Veränderlichkeit existiert. Kern der Fragestellung ist, ob die Zeit bzw. unsere Vorstellung von ihr erst durch eine spezielle Anschauung im menschlichen Bewusstsein 'erschaffen' wird oder unabhängig davon objektiv gegeben ist. Jahrtausende lang äußerte sich hierzu vor allem die Philosophie. Heute jedoch bringen auch die Physik, Astronomie, Neurologie oder Chronopsychologie und Chronobiologie usw. wichtige und spannende Erkenntnisse, die die Frage nach der Existenz der Zeit jedoch weiter problematisch sein lassen. Aktuelle Erkenntnisse aus der Hirnforschung oder Molekularbiologie legen den Schluss nahe, dass Wahrnehmung, Gedankenprozesse, Erinnerungen, Zeitgefühl und Bewusstsein im Menschen so eng miteinander verknüpft sind, dass sie im Erleben normalerweise nicht getrennt werden können. Offenbar erscheinen also die Zeit, Gedanken und das menschliche Bewusstsein nur gemeinsam. Dieser Gedanke hat natürlich Konsequenzen und bedeutet, die Vorstellung einer objektiven Zeit wäre dann nur die Vorstellung einer Identität, die auf Erinnerungen basiert. Zugleich aber strebt sie auch nach Sicherheit und Kontinuität. Hier schließt sich der Kreis zu den alten Mystikern, die dem Phänomen der Zeit ebenfalls ihre Aufmerksamkeit widmeten.

Ich selbst gehe es unwissenschaftlich mit diesem Kuriosum an und trage höchst selten eine Uhr. Ich spiele mit ihr kreativ, dehne und schrumpfe sie mir in bestimmten Situationen, und schreibe über sie am liebsten in lyrischer Form.

— 07. August 2010
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