Zukunft und Vergangenheit

Ein fataler Mix ungenutzter Zeitqualität in der Gegenwart? - Von Christa Schyboll

Zukunft: Sie liegt vor uns, macht uns bang oder lässt uns hoffen. Sie ist unbekannt und uns deshalb nicht geheuer. Sie birgt Gefahren, die wir gerne vor ihrem Eintritt entschärfen würden. Und sie schenkt Chancen, die wir zu nutzen bereit sind.

Offiziell ist die Zukunft die Zeit, die nach der Gegenwart folgt. Real ist sie für viele Menschen jedoch bereits gedanklich oder per Tat bereits in die Gegenwart gezogen, indem wir ihr uns mit konkreten Maßnahmen, Gefühlen und Gedanken bereits widmen, als sei sie jetzt.

Angst steckt häufig dahinter, dass wir sie nicht in ihrer Zukunft lassen können. Die Masse der Sorgen, die Menschen in die Zukunft projizieren, ist enorm. Geschürt werden diese Sorgen von den Erfahrungen der Vergangenheit wie auch den Informationen der Gegenwart, die uns verunsichern, warnen und bedrohen. Wie falsch oft die Einschätzung einer Gefahrenlage war, mag ein jeder bei sich selbst überprüfen. Allzu häufig, wo das das negativ Erwartete nicht eintraf.

Sorgenvoll in die Zukunft zu starren wie das Kaninchen auf die Schlange bedeutet zugleich, in diesen Momenten nicht in der Gegenwart zu sein. Man befindet sich in einem Zustand, der irreal ist und verstärkt ihn unter Umständen noch mit negativen Tendenzen, deren positive Alternative einem einfach nicht einfallen will. Pessimisten könnte man solche Menschen nennen. Warum sie so sind, hat individuelle Gründe. Gemeinsam ist ihnen aber, dass sie eine gelebte Gegenwärtigkeit häufig vermissen lassen, die ihnen Gründe gibt, das Leben zu lieben und zu genießen.

Die Vergangenheit, die längst persönliche Geschichte ist, wird ebenfalls oft in die Gegenwart gezogen und so verlebendigt, als sei sie noch immer wirksam. Das Vergangene wird glücklich oder schmerzhaft erfühlt und so behandelt, als ereigne es sich immer wieder neu. Alle uns wertvollen Erinnerungen bestücken wir somit mit Gefühlen und Gedanken und verleihen ihr damit tatsächlich Leben in der Gegenwart.

Ähnlich wie mit den Gefühlen und Gedanken zur Zukunft transferieren wir alles in einen einzigen Augenblick, der im Moment des Erlebens nicht mehr der Zeit zuzuordnen ist, da die Gegenwart im Augenblick ihrer Realisation schon wieder Vergangenheit ist.

Je mehr und intensiver sich der Mensch in der Gegenwart befindet, ohne Zukunft oder Vergangenheit zugleich zu beschwören, je mehr verliert er das Zeitgefühl, das eine Hilfsbrücke darstellt, die scheinbar verschiedenen Zustände miteinander zu verbinden.

Der Kraftpunkt jedoch liegt alleine in der Gegenwart, aus der heraus die Zukunft zu verändern ist. Und zwar genau in die Richtung, die die gewünschte ist. Die Richtung ist entscheidend und die Konzentration darauf. Je umfassender, eindringlicher und hochgradig dies geschieht, je höher die Chancen, die gewünschte Zukunft im Jetzt zu verwirklichen.

Auch die Vergangenheit ist auf eine gewisse Weise häufig in der Psyche des Menschen veränderbar, selbst wenn die Faktenlage bleibt. Entscheidend ist, dass man zur eigenen Vergangenheit neue innere Haltungen und Sichtweisen aufbauen lernen kann und damit auch eine Heilung bewirkt an den Stellen des Lebens, die ehemals als unheilbar erschienen.

Vergangenheit und Zukunft flankieren die Gegenwart als die wichtigste der drei „Zeiten“, die zugleich keine ist. Die Gegenwart ist ein Zeit enthobener Zustand, würde man sie messen wollen. Selbst Nanosekunden sind Vergangenheit im Augenblick des Messens. Psychisch ist die Gegenwart von größter Bedeutung, so man es lernt, ihr unbegrenztes zeitloses Potential für sich zu nutzen.

Gegenwärtigsein heißt Vergangenheit und Zukunft auf den ihnen gemäßen Rang zu verweisen. Es bedeutet das Anzapfen der Kraftquelle ohne die negativen Altlasten des bisherigen Lebens und ohne die sorgenvolle Hinwendung auf etwas, das weder schon geschehen ist noch je so geschehen muss.

— 15. August 2010
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